Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Rechtsschutzbedürfnis. Arbeitslosengeld II. Klage auf höhere vorläufige Leistungen nach Ablauf des Bewilligungszeitraums. Unterkunft und Heizung. Schätzung kalter Betriebskosten. Einkommensberücksichtigung. Taschengeld aus Bundesfreiwilligendienst. Verfassungsmäßigkeit des § 1 Abs 1 Nr 13 AlgIIV 2008 aF und des § 1 Abs 7 AlgIIV 2008 nF. Freibeträge bei Zusammentreffen mit Einkommen aus geringfügiger Beschäftigung
Orientierungssatz
1. Einer Klage auf höhere vorläufige Leistungen fehlt selbst dann nicht das Rechtsschutzbedürfnis, wenn eine endgültige Bewilligung grundsätzlich möglich wäre (vgl aber LSG Chemnitz vom 22.4.2013 - L 3 AS 1310/12 B PKH).
2. Zur Schätzung kalter Betriebskosten (hier: Kosten des Betriebs einer Tiefwasserpumpe und einer Kleinkläranlage).
3. Die bis 31.12.2011 geltende Regelung des § 1 Abs 1 Nr 13 AlgIIV 2008 und die ab 1.1.2012 geltende Regelung des § 1 Abs 7 AlgIIV 2008 über die Berücksichtigung von Einkommen aus dem Bundesfreiwilligendienst sind verfassungsgemäß.
4. Taschengeld nach dem Bundesfreiwilligendienstgesetz (juris: BFDG) ist Erwerbseinkommen iS von § 11b Abs 2 und 3 SGB 2.
5. Beim Zusammentreffen von Einkommen aus einer Erwerbstätigkeit und von Taschengeld nach dem Bundesfreiwilligendienstgesetz (juris: BFDG) tritt der Freibetrag nach § 1 Abs 7 S 1 AlgIIV 2008 grundsätzlich an die Stelle des Erwerbstätigengrundfreibetrages von 100 Euro nach § 11b Abs 2 S 1 SGB 2. Die Freibeträge sind nicht zu kumulieren.
Tenor
1. Der Bescheid des Beklagten vom 20. September 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. März 2012 - W 856/12 - in der Fassung des Rücknahme- und Erstattungsbescheids vom 24. Februar 2012 des Änderungsbescheids vom 13. April 2012 und in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22. Juni 2012 - W 1877/12 - wird dahin abgeändert, dass den Klägern über die für die Monate November 2011 bis Januar 2012 bereits vorläufig gewährten Leistungen nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches hinaus vorläufig gewährt werden:
a) für Januar 2012 auf den Bedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts:
- für den Kläger zu 1) und die Klägerin zu 2) je 1,96 €,
- für den Kläger zu 3) 0,49 € und
- für die Klägerin zu 4) 0,26 € sowie
b) für die Kosten von Unterkunft und Heizung monatlich für alle Kläger insgesamt
- für Januar 2012 12,50 € und
- für Dezember 2011 6,57 €.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Von den notwendigen außergerichtlichen Kosten der Kläger hat der Beklagte ein Zehntel zu erstatten.
4. Gegen dieses Urteil wird die Berufung zugelassen.
Tatbestand
Dieses Verfahren betrifft die Vorläufigkeit von Leistungen, die Energiekosten für den Betrieb einer Wasser- und Heizungsanlage und die Bereinigung von Einkommen aus dem Bundesfreiwilligendienst bei der Bewilligung von Grundsicherungsleistungen nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB II).
Der 1953 geborene Kläger zu 1) und die 1978 geborene Klägerin zu 2) sind erwerbsfähig und miteinander verheiratet. Sie sind die Eltern des 1979 geborenen Klägers zu 3) und der 2001 geborenen Klägerin zu 4), die mit in ihrem Haushalt leben. Die Familie bezieht seit Januar 2005 vom Beklagten und seinem Rechtsvorgänger Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts nach dem SGB II und begehrt in diesem Verfahren Leistungen für den Zeitraum November 2011 bis Januar 2012.
Die Kläger zu 1) und zu 2) sind die Eigentümer des von der Bedarfsgemeinschaft bewohnten Hausgrundstücks. Das Haus ist nicht an die zentrale Trinkwasserversorgung und die Abwasserentsorgung angeschlossen; die Kläger betreiben mit Pumpen, die durch elektrischen Strom betrieben werden, einen eigenen Tiefbrunnen für Trinkwasser und ein Hauswasserwerk für Brauchwasser, eine Warmwasserpumpe, drei Heizpumpen und einen Kompressor für die nach 2005 errichtete vollbiologische Kläranlage. Die Pumpe des Tiefbrunnens hat eine Leistungsaufnahme von 1.100 W und fördert maximal 60 l/min, die Pumpe des Hauswasserwerks hat eine Leistungsaufnahme von 140 W, der Kompressor von 86 W. Genaue Angaben zum Stromverbrauch der Pumpen können die Kläger nicht machen. Die entsprechenden Stromkosten werden nicht separat erfasst; die Kläger zahlten einen Strompreis von 25,32 ct/kWh. In den streitgegenständlichen Monaten fielen Abschläge für Elektroenergie in Höhe von 127,00 € an. Im November 2011 erwarben die Kläger für den Betrieb ihrer Heizung 1.500 l Heizöl. Darüber hinaus hatten sie kalte Betriebskosten aus Grundsteuer, Müllabfuhr, Schornsteinreinigung, Gebäudeversicherung, Instandhaltung und Wartung der Heizung im November 2011 von 121,74 €, im Dezember 2011von 122,23 € und im Januar 2012 von 124,43 €.
Der Kläger zu 1), der die Fahrerlaubnis für Personenkraftwagen besitzt, meldete zum 1. April 1991 das Gewerbe “Kleintransporte R. S.„ an mit dem Inhalt “nebenberufliche Kleintransporte bis 0,7 t, angemeldete Transporte, bestimmte Waren für bestimmte Firmen, bestimmte kleine Gegenstände„. Seit Ende 2009 besitzt der Kläger zu 1) kein Fahrzeug mehr,...