Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Einkommensberücksichtigung und -berechnung. Taschengeld aus Bundesfreiwilligendienst. Zusammentreffen mit Erwerbseinkommen und steuerprivilegiertem Einkommen aus ehrenamtlicher Tätigkeit. Absetz- und Freibeträge. verfassungskonforme Auslegung
Leitsatz (amtlich)
1. § 1 Abs 7 S 4 AlgIIV (juris: AlgIIV 2008) darf nicht so verstanden werden, dass der höhere Grundfreibetrag für das Taschengeld entfällt, wenn gleichzeitig eine andere Erwerbstätigkeit ausgeübt wird.
2. Die unterschiedlichen Grundfreibeträge für Erwerbseinkommen, steuerprivilegierte Einkommen und den Freiwilligendienst gelten nebeneinander, können aber nicht zusammengerechnet werden.
3. Verschiedene Grundfreibeträge können nur bis zum Betrag des höchsten Grundfreibetrages wirken. In Anspruch genommene Teile der Grundfreibeträge mindern den Umfang der restlichen Grundfreibeträge.
Tenor
Der Bescheid des Beklagten vom 23. August 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. September 2012 wird insoweit aufgehoben, wie eine über den Betrag von 99,00 Euro hinausgehende Aufhebung bzw. Erstattung für den Monat März 2012 und eine über den Betrag von 50,00 Euro hinausgehende Aufhebung und Erstattung für den Monat April 2012 geregelt ist. Die im Wege der Aufrechnung einbehaltenen Beträge sind der Klägerin auszuzahlen.
Der Bescheid des Beklagten vom 11. Juli 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. September 2012 wird abgeändert und der Beklagte verurteilt, der Klägerin für die Monate Mai und Juni 2012 weitere Leistungen i.H.v. monatlich 125,00 Euro zu gewähren.
Der Beklagte hat der Klägerin bis 64 v.H. ihrer außergerichtlichen Kosten dem Grunde nach zu erstatten.
Die Berufung wird für beide Beteiligte zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen eine ihren Hilfebedarf mindernde Berücksichtigung des sog. Taschengeldes aus dem Bundesfreiwilligendienstes in voller Höhe, wenn gleichzeitig Erwerbseinkommen bzw. Einkommen aus einer teilweise einkommensteuerbefreiten Aufwandsentschädigung erzielt wird.
Die 1965 geborene und alleinstehende Klägerin beantragte am 23. Januar 2012 beim Beklagten die Fortzahlung der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) in Form von Arbeitslosengeld II. Sie gab keine Änderungen bekannt (Kosten der Unterkunft und Heizung weiter monatlich insgesamt 344 Euro, weiter Bezug von Einkommen aus einer Tätigkeit in einem Restaurant in Höhe von 50 Euro monatlich und aus einer Übungsleitertätigkeit in einem Sportverein in Höhe von 49 Euro monatlich). Sie fügte ihrem Antrag einen Beleg über eine KFZ-Haftpflichtversicherung des Vaters für dessen KFZ (monatlich 42,32 Euro inklusive Schutzbrief und Auslandskomplettschutz) und ihre persönliche Haftpflichtversicherung bei.
Der Beklagte bewilligte der Klägerin nach dem Bescheid vom 26. Januar 2012 für den Zeitraum vom 1. März 2012 bis zum 31. August 2012 Arbeitslosengeld II in Höhe von monatlich 718 Euro (374 Euro wegen Regelbedarf und 344 Euro wegen der Kosten der Unterkunft und Heizung) ohne Einkommensberücksichtigung, weil die eingeräumten Freibeträge höher als die Summe der Einkünfte waren.
Die Klägerin nahm am 1. März 2012 (befristet bis 31. August 2013) eine weitere Beschäftigung im Rahmen des Bundesfreiwilligendienstes auf. Erstmals im März 2012 erzielte die Klägerin daraus ein sogenanntes Taschengeld in Höhe von 175 Euro monatlich. Die Beschäftigungsstelle bestätigte mit Schreiben vom 26. Juli 2012, dass sie das Taschengeld jeweils am 28. des laufenden Monats auszahlt.
Mit Bescheid vom 24. April 2012 änderte der Beklagte die Bewilligungshöhe ab dem Monat Mai 2012 auf noch 543,00 Euro monatlich (wegen Regelbedarf 199 Euro, wegen Kosten der Unterkunft und Heizung 344 Euro) ab und wandelte die Bewilligung gleichzeitig in eine vorläufige um. Er berücksichtigte Einkommen in Höhe von 175 Euro monatlich. Zur Begründung der Vorläufigkeit nannte der Beklagte die noch vorzulegenden monatlichen Einkommensbescheinigungen. Gleichzeitig forderte er mit Schreiben vom selben Tag die Vorlage der Verdienstbescheinigungen für den Bundesfreiwilligendienst, aus der Erwerbstätigkeit und der Übungsleitertätigkeit.
Am 19. Juni 2012 erklärte die Klägerin beim Beklagten, dass die Einnahmen aus der Übungsleitertätigkeit bereits seit dem Monat April 2012 weggefallen waren.
Die geringfügige Erwerbstätigkeit endete im Monat Juni 2012. Ab dem Monat Juli 2012 erhält die Klägerin keine Einnahmen aus dem geringfügigen Beschäftigungsverhältnis.
Mit Schreiben vom 11. Juli 2012 gab der Beklagte der Klägerin Gelegenheit zur Stellungnahme wegen einer teilweisen Aufhebung und Erstattung der Leistungen ab dem 1. März 2012 bis 30. April 2012 wegen der in diesem Zeitraum zu Unrecht bezogenen Leistungen in Höhe von 175 Euro monatlich. Ab dem 1. März 2012 werde Einkommen aus dem Bundesfreiwilligendienst bezogen. Es sei beabsichtigt, die Überzahlung mit der Nachzahlung aus dem Monat Juli 2012 zu ver...