Entscheidungsstichwort (Thema)
Überprüfungsantrag einer Regelaltersrente. früherer Rentenbeginn und rückwirkende Gewährung einer Rente nach dem ZRBG. Verfassungsmäßigkeit
Orientierungssatz
1. § 44 Abs 4 SGB 10 stellt sich nicht als Verfahrensbestimmung, sondern als eine materiell-rechtliche Anspruchsbeschränkung dar. Die Vorschrift ist verfassungsrechtlich unbedenklich (vgl BSG vom 23.7.1986 - 1 RA 31/85 = BSGE 60, 158 = SozR 1300 § 44 Nr 23, BVerfG vom 7.10.1980 - 1 BvR 240/79 ua und vom 14.3.2000 - 1 BvR 284/96 ua = BVerfGE 102, 41 = SozR 3-3100 § 84a Nr 3).
2. Bei einem Überprüfungsantrag nach § 44 SGB 10 kann ein früherer Rentenbeginn auch nicht auf § 3 ZRBG, nach dem ein bis zum 30.6.2003 gestellter Antrag auf Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung als am 18.6.1997 gestellt gilt, gestützt werden.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Sprungrevision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darum, ob der Klägerin die von der Beklagten bereits gewährte Regelaltersrente unter Anerkennung von sog. Ghetto-Beitragszeiten nach dem Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG) bereits rückwirkend ab 1. Juli 1997 zu zahlen ist oder erst ab 1. Januar 2005.
Die am 0. September 1929 geborene Klägerin ist jüdischen Glaubens und gemäß § 1 Abs. 1 des Bundesentschädigungsgesetzes (BEG) als Opfer nationalsozialistischer Verfolgung anerkannt. Sie lebt in Israel und besitzt die israelische Staatsangehörigkeit.
Am 26. Dezember 1989 stellte die Klägerin erstmals bei der Beklagten einen Rentenantrag unter Anerkennung von sog. Nachkriegszeiten, der mit Bescheid vom 17. Dezember 1993 abgelehnt wurde. Der dagegen erhobene Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 12. September 1995 zurückgewiesen. Die dagegen erhobene Klage vor dem Sozialgericht Düsseldorf - S 12 J 269/95 - wurde mit anwaltlichem Schriftsatz vom 19. April 1996 zurückgenommen.
Am 23. September 2002 beantragte die Klägerin unter Hinweis auf das ZRBG die Zahlung einer Regelaltersrente rückwirkend ab dem 1. Juli 1997 für ihre Zeit im Ghetto Theresienstadt von 1942 bis 1945.
Mit Bescheid vom 23. Mai 2006 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, dass der Klägerin im Ghetto die Arbeiten zugewiesen worden seien und die Angaben der Klägerin im Entschädigungsverfahren nicht für ein freiwilliges Beschäftigungsverhältnis sprechen würden. Im Übrigen hätte die Klägerin nach Auffassung der Beklagten im Ghetto Theresienstadt nicht gegen Entgelt gearbeitet.
Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin am 26. Mai 2006 Widerspruch ein.
Während des Widerspruchsverfahrens teilte die Jewish Claims Conference (JCC) der Beklagten mit Schreiben vom 15. September 2006 mit, dass die Klägerin von dort aus dem sog. Zwangsarbeiterfond eine Entschädigung aufgrund ihres Verfolgungsschicksals im Konzentrationslager Theresienstadt in den Jahren 1943 bis 1945 erhalten habe.
Mit Widerspruchsbescheid vom 5. Dezember 2006 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin unter Vertiefung der Begründung des Ausgangsbescheides zurück. Der Widerspruchsbescheid wurde bestandskräftig.
Nachdem das Bundessozialgericht (BSG) am 2. und 3. Juni 2009 Grundsatzentscheidungen zum ZRBG getroffen hatte, stellte die Klägerin mit anwaltlichem Schriftsatz vom 22. Oktober 2009 einen Überprüfungsantrag bei der Beklagten unter Hinweis auf § 44 SGB X.
Mit Rentenbescheid vom 26. April 2010 bewilligte die Beklagte der Klägerin eine monatliche Regelaltersrente in Höhe von 138,37 EUR. Den Rentenbeginn setzte die Beklagte auf den 1. Januar 2005 fest. Für die Zeit vom 1. Januar 2005 bis 31. Mai 2010 bezifferte die Beklagte die Nachzahlung mit 8.734,97 EUR.
Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin am 20. Mai 2010 Widerspruch ein, zu dessen Begründung sie im Wesentlichen angab, dass der Rentenbescheid eine Verletzung von Art. 3 GG i.V.m. § 3 ZRBG darstelle. Die Rente sei bereits ab 1. Juli 1997 zu gewähren. In allen Fällen, in denen die Rentenverfahren noch nicht rechtskräftig negativ abgeschlossen worden sei, würden auch entsprechende Bescheide durch die Beklagte erlassen. In all den Fällen hingegen, in denen die Rentenansprüche nach dem ZRBG rechtskräftig abgelehnt worden seien, erfolge im Wege der Überprüfung lediglich eine Rentenauszahlung ab 1. Januar 2005. Ein sachlicher Grund für die unterschiedliche Behandlungsweise sei nicht gegeben. Die Fälle seien gleichgelagert.
Mit Widerspruchsbescheid vom 15. Juli 2010 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, dass § 44 Abs. 4 SGB X nur eine rückwirkende Zahlung von vier Jahren vorsehe. Die Vorschrift sei auch verfassungsgemäß. Dies sei auch mehrfach durch das BSG so bestätigt worden. Auch der sozialrechtliche Herstellungsanspruch verjähre innerhalb von vier Jahren. Dem ZRBG-Gesetzgeber sei die Vorschrift des § 44 SGB X bekanntgewesen; er habe dennoch den Abs. 4 im Rahmen des Erlasses des ZRBG nicht ab...