Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilferecht: Stationäre Leistungen der Eingliederungshilfe. Kostenbeteiligung des Hilfeempfängers und des Ehegatten an den Heimkosten. Ermessensausübung der Behörde bei eine Entscheidung über die Kostenbeteiligung

 

Orientierungssatz

Wurde eine Person, die Leistungen zur Grundsicherung im Alter oder bei Erwerbsminderung bezieht, in eine stationäre oder teilstationäre Einrichtung aufgenommen, so hat der Sozialhilfeträger von dieser Person oder deren Ehepartner die Aufbringung der Mittel aus dem gemeinsamen Einkommen in dem Maße zu verlangen, wie durch den Heimaufenthalt Aufwendungen für den häuslichen Lebensunterhalt erspart werden. Dagegen muss der Sozialhilfeträger bei der darüber hinausgehenden Geltendmachung einer Kostenbeteiligung jedenfalls prüfen, ob im Einzelfall eine atypische Konstellation gegeben ist, die der Geltendmachung einer Kostenbeteiligung entgegen steht. Insoweit bedarf es in jedem Fall einer Ermessensausübung durch den Sozialhilfeträger.

 

Tenor

Der Bescheid vom 20.07.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.06.2016 wird aufgehoben.

Der Beklagte trägt die außergerichtlichen notwendigen Kosten der Klägerin.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit eines Kostenbeitrags aus dem gemeinsamen Ehegatteneinkommen, den der Beklagte anlässlich stationärer Leistungen der Eingliederungshilfe geltend macht, die er an den im Februar 1956 geborenen und am 14.03.2018 verstorbenen Ehegatten der Klägerin erbrachte.

Der Beklagte gewährte dem Ehegatten der Klägerin aufgrund eines im Mai 1999 erlittenen Herzinfarktes, in dessen Folge es zu einem Herz-Kreislaufstillstand und einer Unterversorgung des Gehirns mit Sauerstoff gekommen war, stationäre Leistungen der Eingliederungshilfe, und zwar mit Bescheid vom 08.08.2000 zunächst auf Grundlage der §§ 39 ff. des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG). Ein in der Vergangenheit geführtes Klageverfahren anlässlich der Höhe des Kostenbeitrags, das bei dem Verwaltungsgericht Düsseldorf unter dem Az. 13 K 4770/04 geführt wurde, endete am 04.11.2005 durch den Abschluss eines Vergleichs.

Mit einem gegenüber der Klägerin erlassenen Bescheid vom 20.07.2015 hob der Beklagte einen „Bescheid vom 22.09.2006 nach § 45 SGB X mit Wirkung ab dem 01.08.2015 auf“ und führte aus, dass eine „erneute Prüfung (…) der wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnisse (…) ergeben (habe), dass gemäß §§ 2, 92 Abs. 1 und 92a Abs. 1 und Abs. 2 SGB XII die Leistung eines Kostenbeitrages in Höhe von 1.700,57 € zuzumuten“ sei. Der Beklagte setze daher „(i)m Rahmen (s)eines Ermessens (…) einen Kostenbeitrag in Höhe von 1.700,57 € ab dem 01.08.2015 fest“. Von der Klägerin seien keine Gründe vorgetragen, die es notwendig machten, hiervon abzuweichen. Solche Gründe seien auch nicht ersichtlich.

Mit Schreiben vom 24.07.2015 erhob die Klägerin gegen den Bescheid vom 20.07.2015 Widerspruch und führte u.a. an, dass die Erhebung eines Kostenbeitrags aufgrund von durch den Ehegatten der Klägerin in den 1980’er und 1990’er Jahren ausgeübter häuslicher Gewalt verwirkt sei. Auch seien erhebliche monatliche Kosten (u.a. Fahrtkosten, Versicherungsprämien, Hauslasten) nicht berücksichtigt worden. Weiterhin sei der bisherigen Lebenssituation der Klägerin und der im Haushalt lebenden Kinder nicht Rechnung getragen worden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 22.06.2016 wies der Beklagte den Widerspruch vom 24.07.2015 gegen den Bescheid vom 20.07.2015 unter Beteiligung sozial erfahrener Personen (§ 116 Abs. 2 SGB XII) als unbegründet zurück. Die Klägerin und ihr Ehegatte verfügten über ein durchschnittliches monatliches Einkommen i.H.v. 4.513,14 €. Nach einer Bereinigung um die anerkennungsfähigen Positionen sei ein bereinigtes Einkommen i.H.v. 3.942,25 € zu Grunde zu legen. Dieses bereinigte Einkommen i.H.v. 3.942,25 € übersteige einen erhöhten Garantiebetrag i.H.v. 2.241,69 € um 1.700,86 €. Ersparte häusliche Aufwendungen im Sinne des § 92a Abs. 1 SGB XII a.F. würden i.H.v. 80 % des maßgeblichen Regelsatzes berücksichtigt (80% von 360 €), mithin i.H.v. 288 €. Im Rahmen des § 92a Abs. 2 SGB XII a.F. halte der Beklagte es für angemessen, den insoweit maximal möglichen Betrag in Höhe des notwendigen Lebensunterhalts in der Einrichtung zu Grunde zulegen, mithin 611,80 €. Weiterhin werde ein Einkommenseinsatz oberhalb der Einkommensgrenze auf Grundlage des § 87 Abs. 1 SGB XII i.H.v. 800,77 € gefordert. Daraus ergebe sich der Gesamtkostenbeitrag i.H.v. 1.700,57 € (= 288,00 € + 611,80 € + 800,77 €). Weiter führte der Beklagte an, dass, so sehr belastend die Ereignisse in der Vergangenheit für die Klägerin sicherlich gewesen seien, diese Umstände nichts daran änderten, dass die Klägerin als Ehegattin im Rahmen der Einstandsgemeinschaft gem. § 19 Abs. 3 SGB XII ihr Einkommen und Vermögen einzusetzen habe. Unter Abwägung des Widerspruchsvortrages, der gesetzlichen Vorgaben sowie der getroffenen Ermessensentscheidung bestehe für den Beklagten keine Möglichkeit, dem Widerspruch abzuhelfen. ...

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