Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. einstweiliger Rechtsschutz. Regelungsanordnung. Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs. Asylbewerberleistung. Grundleistung. Anspruchseinschränkung nach § 1a AsylbLG. unabweisbar gebotene Leistung. keine Absenkung von Leistungen unter die vom BVerfG bis zu einer gesetzlichen Neuregelung angeordnete Übergangsregelung
Orientierungssatz
1. Das Gericht sieht vor dem Hintergrund des Urteils des BVerfG vom 18.7.2012 - 1 BvL 10/10 ua = BVerfGE 132, 134 = SozR 4-3520 § 3 Nr 2 keine Grundlage, auch angesichts der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung tatsächlicher Sachverhalte, den Rechtsbegriff des gem § 1a AsylbLG geforderten “unabweisbar Gebotenen„ unterhalb der durch das BVerfG gezogenen Betragsgrenzen zu definieren und zu begründen, da auch im Rahmen der Leistung des nur unabweisbar Gebotenen das menschenwürdige Existenzminimum - in physischer wie in soziokultureller Hinsicht - nicht unterschritten werden darf (Anschluss an LSG Essen vom 24.4.2013 - L 20 AY 153/12 B ER).
2. Az beim LSG: L 4 AY 19/13 B ER
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Auszahlung des sog. Barbetrages (Taschengeldes) gemäß § 3 Abs. 1 Satz 4 Asylbewerberleistungsgesetz - AsylbLG - unter Beachtung der im Jahr 2012 ergangenen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG).
Der 1971 in Kathunangal, Indien, geborene Antragsteller reiste am 01.09.2003 ohne gültigen Pass bzw. nach eigenen Angaben mit einem ihm nicht gehörenden Pass in die Bundesrepublik Deutschland ein. Seitdem wohnt er bei Bekannten.
Sein Asylantrag wurde bestandskräftig abgelehnt. Der Antragsteller ist ohne Pass, seine Abschiebung ausgesetzt. Er ist im Besitz einer Duldung gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 Aufenthaltsgesetz - AufenthG -, welche von der Ausländerbehörde in Abständen von 2 bis 3 Monaten jeweils verlängert wird.
Seit 19.04.2004 erhält der Antragsteller Asylbewerberleistungen gemäß §§ 3 ff. AsylbLG.
Verschiedene Anträge des Antragstellers zur Passbeschaffung beim Indischen Konsulat blieben erfolglos; aufgrund der angegebenen Personalien konnte die Identität des Antragstellers - zuletzt am 12.01.2010 - nicht verifiziert werden. Der Aufklärung dienende persönliche Urkunden (Geburtsurkunde, Pass, school leaving certificate o. ä.) wurden nicht vorgelegt. Am 25.07.2011 erging gegen den Antragsteller durch das Amtsgericht Frankfurt am Main Strafbefehl, da der Antragsteller sich zumindest seit dem 17.04.2010 entgegen § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 48 Abs. 2 Aufenthaltsgesetz im Bundesgebiet aufhalte und seinen Mitwirkungspflichten zur Passbeschaffung nicht in ausreichendem Maß nachkomme. Nach weiteren erfolglosen Klärungsversuchen hinsichtlich Identität und Herkunft des Antragstellers am 01.12.2011 und 17.07.2012 durch die Ausländerbehörde gewährte die Antragsgegnerin seit 01.08.2012 im Wege der Leistungskürzung gemäß § 1a Nr. 2 AsylbLG nur noch 217,- € monatlich als Grundleistung zur Sicherung des physischen Existenzminimums im Sinne von § 3 Abs. 1 Satz 4 AsylbLG; das sog. Taschengeld bzw. der sog. Barbetrag wurde zu 100 % gestrichen.
Zuletzt mit Bescheid vom 27.05.2013 bewilligte die Antragsgegnerin Leistungen nach § 3 AsylbLG in Höhe von 217,- € für den Monat Juni 2013 unter Hinweis darauf, dass bei unveränderten wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnissen ein Anspruch auf Weitergewährung der Leistung in der in diesem Bescheid genannten Höhe bestehe.
Der Antragsteller erhob am 07.06.2013 Widerspruch mit dem Ziel der Auszahlung eines weiteren Betrages von 137,- € monatlich als Asylbarbetrag unter Hinweis auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts - BverfG - vom 18.07.2012 (1 BvL 10/10).
Am 06.08.2013 hat der Antragsteller bei dem hiesigen Gericht Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt unter Hinweis darauf, dass seiner Ansicht nach aufgrund der Rechtsprechung des BVerfG der Barbetrag zur Deckung persönlicher Bedürfnisse des täglichen Lebens im Sinne § 3 Abs. 1 Satz 4 AsylbLG zum physischen und soziokulturellen Existenzminimum gehöre und dieses aus migrationspolitischen Erwägungen nicht eingeschränkt werden dürfe. Er sei einkommenslos und dringend auf die Gewährung des Existenzminimums angewiesen.
Der Antragsteller beantragt (sinngemäß),
ihm ab Eingang des Antrages auf einstweiligen Rechtsschutz zu den bewilligten 217,- € monatlich zusätzlich Leistungen in Höhe von 137,- € monatlich im Sinne von § 3 Abs. 1 Satz 4 AsylbLG - sog. Barbetrag - zu gewähren.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Sie trägt vor, nach ihrer Rechtsauffassung, sei das Urteil des BVerfG vorliegend nicht entscheidungserheblich, da dieses zu § 1a Nr. 2 AsylbLG keine Aussage treffe. Eine Leistungskürzung nach § 1a Nr. 2 AsylbLG sei weiterhin verfassungsgemäß, da das BVerfG in seinem Urteil vom 18.07.2012 ausschließlich die Höhe der Grundleistung nach § 3 AsylbLG einer Neuregelung durch den Gesetzgeber unterworfen, nicht hingegen eine Entscheidung über § 1a AsylbLG getroffen ha...