Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindergeldrecht. Aufhebung eines Kindergeldbescheids. wesentliche Änderung der Verhältnisse. Wegfall von Anspruchsvoraussetzungen wegen Bezugs vergleichbarer Familienleistungen im Ausland -grob fahrlässige Verletzung der Mitteilungspflicht. Beschränkung der rückwirkenden Aufhebung und Rückforderung bei fehlendem Anspruch auf ausländische Ausgleichsleistung. Ermessensreduzierung auf null
Leitsatz (amtlich)
1. Entfällt ein Anspruch auf bewilligte Familienleistungen nach deutschem Recht (zB auf Kindergeld nach dem BKGG), weil wegen Beschäftigungsaufnahme im Ausland ein Anspruch auf vergleichbare ausländische Leistungen entstanden ist, so ist die rückwirkende Aufhebung der Leistungsbewilligung nur zulässig, soweit die ausländische Familienleistung für die Vergangenheit noch beansprucht werden kann.
2. Soweit der Anspruch auf die vergleichbare ausländische Leistung nicht mehr durchgesetzt werden kann, handelt es sich um einen atypischen Fall iS des § 48 Abs 1 S 2 SGB 10 und das Ermessen der Behörde reduziert sich dahingehend auf Null, dass von einer Aufhebung und Rückforderung insoweit abzusehen ist.
Orientierungssatz
Eine grob fahrlässige Verletzung der Pflicht nach § 60 Abs 1 S 1 Nr 2 SGB 1, eine wesentliche Änderung der für die bewilligte Leistung erheblichen Umstände mitzuteilen, liegt regelmäßig vor, wenn der Inhalt von Antragsformularen, bei Antragstellung ausgehändigten Merkblättern oder des beiliegenden Bescheids nicht zur Kenntnis genommen und deshalb die Mitteilung unterlassen wird.
Tenor
Der Bescheid der Beklagten über Kindergeld nach dem BKGG vom 11.08.2009 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 01.10.2009 und des Widerspruchsbescheides vom 28.12.2009 wird aufgehoben.
Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung einer Kindergeldbewilligung sowie der daraus resultierenden Erstattungsforderung.
Die am xxx geborene Klägerin ist verheiratet. Aus der Ehe sind die Kinder X, geboren am xxx, X, geboren am xxx und X, geboren am xxx, hervorgegangen. Die Klägerin bezog für diese drei Kinder Kindergeld, infolge Umzugs seit September 1993 von der Kindergeldkasse des Arbeitsamtes O aufgrund eines Bescheids vom 28.10.1993. Zum 1.9.1994 nahm der Ehemann der seinerzeit und seither nicht berufstätigen Klägerin eine Beschäftigung in Frankreich auf. Dies wurde der Beklagten erstmals bekannt, als sie die Eheleute im Zusammenhang mit dem Antrag auf Weiterzahlung des Kindergeldes für den in Ausbildung befindlichen Sohn X über den 18. Geburtstag hinaus aufforderte, erneut ein Antragsformular auszufüllen und sie die darin enthaltene Frage nach einer Beschäftigung außerhalb Deutschlands wahrheitsgemäß beantworteten. Das Antragsformular ist auf den 28.9.2008 datiert, das Eingangsdatum bei der Beklagten ist nicht vermerkt.
Die Beklagte stellte daraufhin im Oktober 2008 die Kindergeldzahlung ein und forderte die Klägerin unter dem 22.10.2008 auf, sich zu erklären, ob sie in Deutschland beschäftigt sei oder Arbeitslosengeld beziehe. Andernfalls bestehe Anspruch in Frankreich auf Leistungen. Der Ehemann der Klägerin teilte hierzu am 21.11.2008 telefonisch mit, dass seine Frau nicht berufstätig sei. Auf telefonische Anfrage vom 18.2.2009 gab die Klägerin weiter an, sie arbeite bereits seit 1992 nicht mehr in Deutschland.
Mit Schreiben vom 24.7.2009 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass seit 1.9.1994 der vorrangige Anspruch auf Familienleistungen in Frankreich bestanden habe und Kindergeld nach deutschem Recht nur in Höhe der Differenzbeträge hätte gezahlt werden können; dies unabhängig davon, ob ausländische Leistungen tatsächlich gezahlt oder mangels Antragstellung nicht gezahlt würden. Es sei daher zu prüfen, ob die Kindergeldfestsetzung rückwirkend aufzuheben und das zuviel gezahlte Kindergeld von ihr zu erstatten sei. Hierzu schrieb die Klägerin am 28.7.2009: Als ihr Mann im September 1994 seinen Arbeitsplatz von Deutschland nach Frankreich verlegt habe, hätten sich die Eheleute über den neuen Arbeitgeber in Frankreich informieren lassen, wie die verschiedenen Sozialleistungen bei Wohnsitz in Deutschland und Arbeitsstelle in Frankreich abgewickelt werden. Zum Thema Kindergeld habe es damals geheißen, dass sie die Wahl hätten, ob die Klägerin weiterhin in Deutschland Kindergeld beziehe oder ob Kindergeld in Frankreich beantragt werde. Da die Leistungen in Deutschland seinerzeit höher gewesen seien, hätten sie alles beim Alten belassen. Sie hätten insbesondere in Frankreich keinen Antrag auf Kindergeld gestellt. Sie seien all die Jahre davon ausgegangen, dass alles seine Ordnung habe. Sie seien zu der geforderten Rückzahlung nicht in der Lage, da die entsprechenden Kindergeldzahlungen für den Unterhalt der Kinder verbraucht worden seien.
Mit Bescheid vom 11.8.2009 hob die Beklagte die Kindergeldfestsetzung nach dem EStG für die Zeit von September 1994 bis September 2008 auf und forderte die Klägerin ...