Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld II. Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung. Aufwendungen für eine ärztliche Bescheinigung. sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Untersuchungsgrundsatz. Mitwirkungspflichten des Leistungsberechtigten. Vorlage von Beweismitteln. Aufwendungsersatz nach § 65a Abs 1 SGB 1. Geschäftsführung ohne Auftrag. Grenzen der Mitwirkung
Leitsatz (amtlich)
1. Zu den Mitwirkungspflichten des § 60 Abs 1 S 1 Nr 3 SGB I gehört auch die Vorlage von noch zu beschaffenden Beweismitteln.
2. Wer seine Mitwirkungspflichten erfüllt, führt kein fremdes Geschäft im Sinne von § 677 BGB.
3. Die Entscheidung, dem Antragsteller die Kosten nicht zu ersetzen, die durch eine überhöhte Abrechnung eines Arztes für eine durch den Leistungsträger angeforderte Bescheinigung entstanden sind, verstößt nicht gegen § 65a SGB I.
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Kosten sind nicht zu erstatten.
3. Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Erstattung der Kosten für ein ärztliches Attest in voller Höhe.
Am 28. Oktober 2013 stellte der Kläger einen Antrag auf einen Mehrbedarf nach § 21 Abs. 5 SGB II wegen Laktoseintoleranz. Dazu legte er einen Laktose-Intoleranztest des Universitätsklinikums A-Stadt vom 17. September 2010 vor.
Am 1. November 2013 reichte der Kläger ein Formular MEB (Anlage zur Gewährung eines Mehrbedarfes für kostenaufwändige Ernährung) mit der durch die Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. B. ausgefüllten Bescheinigung bei dem Beklagten ein, legte eine Quittung über 10 € über die Bezahlung der Kosten des Attests vor und beantragte die Übernahme der Kosten für das ärztliche Attest.
Mit Bescheid vom 11. März 2014 erstattete der Beklagte die Kosten in Höhe von 5,36 €. Bei der Höhe der Erstattung habe man sich an Nr. 70 der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) orientiert und den 2,3fachen Satz zugrunde gelegt.
Den Widerspruch des Klägers vom 8. April 2014 wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 15. Juli 2014 als unbegründet zurück.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Beklagten unter Abänderung des Bescheids vom 11. März 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. Juli 2014 zu verurteilen, ihm weitere 4,64 € zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- und die beigezogene Verwaltungsakte verwiesen. Das Gericht hat mit den Beteiligten am 13. Juli 2016 einen Erörterungstermin durchgeführt. Auf das Protokoll wird verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Kammer konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt haben, § 124 Abs. 2 SGG.
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf eine Zahlung über die bereits geleisteten 5,36 € hinaus. Die Ablehnung dieses Anspruchs mit dem Bescheid vom 11. März 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. Juli 2014 ist rechtmäßig.
Die Voraussetzungen von § 65a Abs. 1 SGB I liegen nicht vor. Nach dieser Norm kann, wer einem Verlangen des zuständigen Leistungsträgers nach den §§ 61 oder 62 nachkommt, auf Antrag Ersatz seiner notwendigen Auslagen und seines Verdienstausfalls in angemessenem Umfang erhalten. Bei einem Verlangen des zuständigen Leistungsträgers nach § 61 sollen Aufwendungen nur in Härtefällen ersetzt werden. Es kann dahinstehen bleiben, ob die Anlage MEB (Gewährung eines Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung) des Beklagten ein Verlangen darstellt, jedenfalls beschränkt sich dieses Verlangen auf die ärztliche Beantwortung von Fragen in Form einer Bescheinigung und setzt weder zwingend ein persönliches Erscheinen (§ 61 SGB I) noch eine ärztliche Untersuchungsmaßnahme (§ 62 SGB I) voraus. Der Beklagte hat nicht, wie es für § 62 SGB I erforderlich wäre, die Durchführung einer Untersuchung bei einem bestimmten Arzt zur Klärung einer bestimmten Fragestellung verlangt, sondern begnügt sich mit der Beantwortung von Fragen durch einen durch den Kläger bestimmten Arzt, ohne dass es dem Beklagten darauf ankommt, ob zur Beantwortung der Fragen eine Untersuchung durchgeführt wird oder nicht.
Eine analoge Anwendung von § 65a SGB I wird zu Recht einhellig abgelehnt (vgl. Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 17. Mai 2010 - L 11 AS 291/10 NZB -, Rn. 10, juris; LSG Berlin-Brandenburg vom 19. September 2007 - L 15 B 192/07 SO PKH - Rn. 4, juris; Sichert in: Hauck/Noftz, SGB, 11/15, § 65a SGB I, Rn. 3). Eine unbewusste Regelungslücke ist angesichts des eindeutigen Wortlauts und des Willens des Gesetzesgebers (BT-Drs. 8/2034, S. 42 f) nicht erkennbar.
Aus § 64 Abs. 1 S. 1 SGB X folgt ebenfalls kein Anspruch des Klägers. Er regelt allein die Kostenfreiheit des Verfahrens vor den Behörden nach diesem Gesetzbuch. Hier macht aber nicht der Beklagte Kosten bei dem Kläger geltend. Zu der Übernahme von Kosten der Antragsteller im Antragsverfahren verhält sich diese Norm nicht. Auch § 64 Abs. 2 S. 1 SGB X betrifft die vorliegende Konstellation nicht.
Weitere Regelungen...