Entscheidungsstichwort (Thema)

gesetzliche Unfallversicherung. Versicherungspflicht in Deutschland. Europarechtskonformität und Verfassungsmäßigkeit

 

Orientierungssatz

Die Pflichtmitgliedschaft zur deutschen gesetzlichen Unfallversicherung verstößt weder gegen das Grundgesetz noch gegen Vorschriften des europäischen Rechts.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Entlassung aus der Pflichtmitgliedschaft zur Beklagten.

Die Klägerin ist ein Transportunternehmen in der Rechtsform der GmbH und - nach Verlegung der Hauptniederlassung von Asbach nach Diffenburg im Juli 2002 - seit 01.01.2003 in dieser Form im Unternehmenskataster der Beklagten als Pflichtmitglied eingetragen.

Mit Schreiben vom 22.07.2005 kündigte die Klägerin die Pflichtmitgliedschaft im Bereich der Versicherung der Arbeitnehmer gegen die Risiken des Arbeitsunfalles und der Berufskrankheiten zum 31.12.2005.

Mit Bescheid vom 03.08.2005 stellte die Beklagte fest, dass aufgrund der eindeutigen gesetzlichen Regelungen kein Anspruch auf Entlassung der Klägerin aus der Pflichtmitgliedschaft bestehe.

Die Klägerin legte hiergegen fristgerecht Widerspruch ein mit der Begründung, die Zwangsmitgliedschaft sei mit europäischem Recht und Verfassungsrecht unvereinbar.

Durch Widerspruchsbescheid vom 30.09.2005 wurde der Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen.

Die Klägerin hat hiergegen am 04.11.2005 vor dem Sozialgericht Gießen Klage erhoben.

Sie vertritt die Auffassung, die Pflichtmitgliedschaft bei der Beklagten verstoße gegen das Recht der Europäischen Union und gegen das Grundgesetz. Den bei der Beklagten versicherten Unternehmen werde jegliche Möglichkeit genommen, sich anstatt bei der Berufsgenossenschaft anderweitig bei einer inländischen oder EU-ausländischen Versicherung nach dem Standard der gesetzlichen Unfallversicherung privat abzusichern. Diese Monopolstellung finde keine Rechtfertigung. Die Klägerin könne sich auch dann auf die Dienstleistungsfreiheit berufen, wenn sie nicht selbst als Versicherer auf dem deutschen Markt tätig werden wolle, denn der EuGH habe in zulässiger Rechtsfortbildung den Anwendungsbereich der Artikel 49.50 EGVtr auf die Felder erweitert, bei denen nur die Dienstleistung selbst die Grenze überschreitet, während die in unterschiedlichen Mitgliedstaaten ansässigen den Leistungsempfänger und dem Leistungserbringer keiner Ortsveränderung vornehmen.

Darüber hinaus sei die Versicherungstätigkeit der Beklagten als unternehmerische Tätigkeit zu bewerten und unterliegen damit den Regelungen der Artikel 81 ff EGVtr. Die Berufsgenossenschaften hätten als staatliches Monopol eine marktbeherrschende Stellung. Bereits die Schaffung dieses Monopols sei zwingend mit einem Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung verbunden, darüber hinaus liege ein Verstoß gegen Artikel 82 dann vor, wenn durch diese Stellung eine Lage geschaffen werden könnte, in der die Möglichkeit besteht, dass das Unternehmen, hier die Beklagte, einen solchen Missbrauch begehen könnte.

Schließlich beeinträchtigten die Berufsgenossenschaften auch den Handel zwischen den Mitgliedstaaten im Hinblick auf ausländische Versicherer. Es sei im Übrigen im Bereich der Krankenversicherung mittlerweile gelungen, auch eine private Absicherung möglich zu machen. Gründe nach Artikel 85 Abs. 2 für die Beibehaltung der Unfallversicherungsmonopols gebe es hingegen nicht.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 03.08.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.09.2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, sie zum 31.12.2005 aus der Pflichtmitgliedschaft zu entlassen, soweit der Bereich der Versicherung der Arbeitnehmer gegen die Risiken des Arbeitsunfalles und der Berufskrankheiten betroffen ist,

hilfsweise

festzustellen, dass die Klägerin ab dem 01.01.2006 nicht mehr Pflichtmitglied bei der Beklagten ist soweit der Bereich der Versicherung der Arbeitnehmer gegen die Risiken des Arbeitsunfalles und der Berufskrankheiten betroffen ist.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hält die getroffene Entscheidung für zutreffend und mit geltendem Recht und Rechtsprechung für vereinbar.

Zum Sach- und Streitstand im Einzelnen wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.

 

Entscheidungsgründe

Die insbesondere form- und fristgerecht vor dem zuständigen Gericht erhobene Anfechtungsklage ist zulässig (§ 54 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG), jedoch nicht begründet. Der angegriffene Bescheid ist nicht aufzuheben, denn er ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Beklagte hat es zutreffend abgelehnt, die Klägerin aus der berufsgenossenschaftlichen Pflichtmitgliedschaft nach dem Siebten Buch Sozialgesetzbuch - gesetzliche Unfallversicherung - (SGB VII) zu entlassen.

Eine Pflichtmitgliedschaft der Klägerin bei der Beklagten sowie die sich danach ergebende Beitragspflicht resultiert aus §§ 121, 150 SGB VII. Gemäß § 121 SGB VII sind die gewerblichen Berufsgenossenschaften für alle Unternehmen zuständig, soweit sich nicht nach ande...

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