Entscheidungsstichwort (Thema)
Opferentschädigungsrecht: Ansprüche von Angehörigen eines Gewaltopfers aus Opferentschädigung. Schockschadens als Anspruchsgrund. Anforderung an die Annahme eines unmittelbaren Zusammenhangs zwischen Tat und Gesundheitsschaden
Orientierungssatz
Die Eltern eines Kindes, das Opfer einer Gewalttat wurde, sind nur dann selbst in den Schutzbereich des Opferentschädigungsrechts einbezogen, wenn sie unmittelbar aus der Tat einen Gesundheitsschaden erlitten haben. Soweit sich der feindselige Angriff allein gegen das Kind richtete, kommt die Annahme eines solchen unmittelbaren Angriffs gegenüber den Eltern nur dann ausnahmsweise in Betracht, wenn die Eltern eine gesundheitliche Schädigung als Schockschaden bei Kenntnisnahme der Tat erlitten. Dagegen rechtfertigt eine andauernde psychische Erkrankung eines Elternteils nach einer Gewalttat gegen das Kind, die zum Todes des Kindes führte, jedenfalls dann keine Ansprüche auf Opferentschädigung des Elternteils, wenn die Erkrankung aus der Ungewissheit und Verlusterfahrung nach dem Verschwinden des Kindes resultiert und bereits vor Kenntnis des Todes entstand.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über Ansprüche nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (Opferentschädigungsgesetz - OEG).
Die am ... 1959 geborene Klägerin ist die Mutter der Frau ..., die infolge einer Gewalttat verstorben ist. Die Tochter der Klägerin wurde im November 2004 vermisst und konnte erst am ... 2006 aufgefunden werden. Innerhalb dieses Zeitraums - der genaue Zeitpunkt ist nicht bekannt - kam das jugendliche Mädchen zu Tode. Die Klägerin ist aufgrund dieses Geschehens psychisch schwer erkrankt, wobei sich die Beschwerden bereits mit dem Verschwinden ihrer Tochter entwickelten.
Am 14.05.2007 beantragte die Klägerin wegen dieses Sachverhalts bei dem Beklagten Versorgung nach dem OEG. Zur Begründung trug sie vor, dass ihre komplexe psychische Erkrankung auf die Gewalttat zum Nachteil ihrer Tochter zurückzuführen sei. Mit Bescheid vom 27.10.2009 lehnte der Beklagte den Antrag unter Hinweis darauf ab, dass die Voraussetzungen für einen Versorgungsanspruch nach dem OEG nicht erfüllt seien, da bei der Klägerin kein Schockschaden eingetreten sei. Anspruchsbegründend könne nur eine Nachricht sein, dh ein zu einem bestimmten Zeitpunkt stattfindender kommunikativer Vorgang, da als Schockschaden nur ein zu einem bestimmten Zeitpunkt ausgelöster, plötzlich eintretender Beginn einer psychischen Beeinträchtigung anzusehen sei. Hingegen bestehe im Falle einer seelischen Verletzung infolge einer Gewalttat zulasten eines Angehörigen kein Anspruch nach dem OEG, wenn nicht das unmittelbare Miterleben der Gewalttat oder deren Kenntniserlangung durch die Überbringung von der Todesnachricht die Gesundheitsstörung auf psychischem Gebiet hervorgerufen habe, sondern vielmehr das Erleben einer durch die Gewalttat veränderten Lebenssituation leidensursächlich sei. Den aktenkundigen Unterlagen sei jedoch nicht zu entnehmen, dass die Klägerin durch das Überbringen der Nachricht vom Auffinden und Tod ihrer Tochter am ... 2006 einen Schock erlitten habe und seither unter psychischen Gesundheitsstörungen leide. Nach den Ergebnissen des im Verwaltungsverfahren eingeholten fachpsychiatrischen Sachverständigengutachtens von Prof Dr ... und Dr ... vom 11.08.2009 sei vielmehr davon auszugehen, dass die psychischen Beschwerden der Klägerin bereits mit dem Verschwinden der Tochter am ... 2004 begonnen hätten. Die Klägerin leide bereits seit dem Zeitpunkt des Verschwindens ihrer Tochter unter zahlreichen gravierenden psychopathologischen Symptomen iSe PTBS, die zum Zeitpunkt der Untersuchung bereits einen chronifizierten Verlauf angenommen hätten und in eine andauernde Persönlichkeitsstörung übergegangen seien. Das Überbringen der Todesnachricht habe nur noch die schlimmen Befürchtungen, welche die Klägerin aufgrund der Umstände des Verschwindens ihrer Tochter seit 17 Monaten gehabt habe, bestätigt. Zwar habe sich die Hoffnung der Klägerin, dass sich ihr Befinden verbessern werde, nachdem das Schicksal ihrer Tochter endlich geklärt und die zermürbende Ungewissheit damit beendet worden sei, nicht erfüllt. Allerdings habe sich der Gesundheitszustand der Klägerin nach dem Überbringen der Todesnachricht auch nicht mehr verschlimmert. Nach gutachterlicher Feststellung seien die Symptome vor dem Auffinden der Tochter bei der Klägerin ausgeprägter gewesen. Zwar hätten bereits die Umstände des Verschwindens der Tochter der Klägerin im November 2004 sowie die intensiven polizeilichen Ermittlungstätigkeiten bis zum Auffinden der Tochter den dringenden Verdacht einer Straftat nahe gelegt und es habe sich in diesem Zeitraum auch bei der Klägerin ein psychisches Krankheitsbild manifestiert. Dieser Sachverhalt erfülle jedoch die eng auszulegenden Anspruchsvoraussetzungen des OEG nicht, da es sich hierbei eben nicht um einen ...