Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss für Ausländer in den ersten drei Monaten des Aufenthalts. Unionsbürger. Arbeitnehmerfreizügigkeit. Arbeitnehmereigenschaft. Anforderungen an die Beschäftigung
Leitsatz (amtlich)
1. Kein Leistungsausschluss für EU-Ausländer bei einem Aufenthalt als Arbeitnehmer.
2. Zu den Kriterien, nach denen eine Beschäftigung als "völlig untergeordnet und unwesentlich" iS der EuGH-Rechtsprechung zu beurteilen ist.
Tenor
1. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin für die Zeit vom 11. Dezember 2014 bis zum 31. Mai 2015 den Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zu gewähren.
2. Der Antragsgegner trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin.
Gründe
Der zulässige Antrag vom 11.12.2014, mit dem die Antragstellerin b. Staatsangehörigkeit die vorläufige Verpflichtung des Antragsgegners begehrt, ihr den Regelbedarf nach § 20 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) zu gewähren, ist auch begründet.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes setzt einen Anordnungsanspruch, also einen materiell-rechtlichen Anspruch auf die Leistung, zu der der Antragsgegner im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes verpflichtet werden soll, sowie einen Anordnungsgrund, d.h. einen Sachverhalt, der die Eilbedürftigkeit der Anordnung begründet, voraus. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind nach § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit § 920 Abs. 2, § 294 Zivilprozessordnung (ZPO) glaubhaft zu machen.
Bei der Prüfung des Anordnungsanspruchs sind die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Jedenfalls dann, wenn die Erfolgsaussichten in der Hauptsache nach überschlägiger Prüfung deutlich überwiegen, liegt ein Anordnungsanspruch vor, wobei aber auch in diesem Fall nicht auf einen Anordnungsgrund verzichtet werden kann (Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG-Komm., 11. Aufl. 2014, § 86b Rn. 29). Andererseits fehlt es am Anordnungsanspruch, wenn Widerspruch oder Klage offensichtlich unzulässig oder offensichtlich unbegründet sind. Letztlich ist bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens, wenn etwa eine vollständige Aufklärung der Sach- oder Rechtslage im einstweiligen Rechtsschutz nicht möglich ist, im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden, welchem Beteiligten ein Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache eher zuzumuten ist. Dabei sind grundrechtliche Belange der Antragsteller umfassend in der Abwägung zu berücksichtigen. Insbesondere bei Ansprüchen, die darauf gerichtet sind, als Ausfluss der grundrechtlich geschützten Menschenwürde das soziokulturelle Existenzminimum zu sichern (Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 Grundgesetz), ist ein nur möglicherweise bestehender Anordnungsanspruch dann, wenn er eine für die soziokulturelle Teilhabe unverzichtbare Leistungshöhe erreicht und nicht absehbar ist, dass kurzfristig die notwendige Klärung über das Vorliegen des Anspruches herbeigeführt werden kann, in der Regel vorläufig zu befriedigen, wenn sich die Sach- oder Rechtslage im Eilverfahren nicht vollständig klären lässt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05).
Vorliegend hat die Antragstellerin nach diesem Maßstab sowohl Anordnungsanspruch (I.) als auch Anordnungsgrund (II.) glaubhaft gemacht.
I.
Die Antragstellerin hat nach dem Erkenntnisstand des Eilverfahrens einen Anspruch auf den allein beantragten Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach § 20 SGB II.
Anspruch auf Arbeitslosengeld II, darunter den Regelbedarf (§ 19 Abs. 1 Satz 3 SGB II), haben nach § 19 Abs. 1 Satz 1 SGB II erwerbsfähige Leistungsberechtigte. Erwerbsfähige Leistungsberechtigte sind nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II Personen, die
1. das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben,
2. erwerbsfähig sind,
3. hilfebedürftig sind und
4. ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben.
Die 1988 geborene Antragstellerin hat das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht.
Sie ist auch erwerbsfähig. Nach § 8 Abs. 2 SGB II können Ausländerinnen und Ausländer nur erwerbsfähig sein, wenn ihnen die Aufnahme einer Beschäftigung erlaubt ist oder erlaubt werden könnte. Als bulgarische Staatsangehörige benötigt die Antragstellerin wegen der ihr zustehenden uneingeschränkten Arbeitnehmerfreizügigkeit zur Beschäftigungsaufnahme keine Arbeitsgenehmigung (vgl. BSG, Beschluss vom 12.12.2013 - B 4 AS 9/13 R). Ihr ist als freizügigkeitsberechtigter Unionsbürgerin die Aufnahme einer Beschäftigung erlaubt.
Nach derzeitigem Erkenntnisstand bestehen auch an der Hilfebedürftigkeit der Antragstellerin keine durchg...