Entscheidungsstichwort (Thema)
sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Rücknahme eines rechtswidrig begünstigenden Verwaltungsaktes. kein Vertrauensschutz. überwiegendes öffentliches Interesse. gesetzliche Unfallversicherung. Berufskrankheit. haftungsausfüllende Kausalität. Nachweis. aromatische Amine. Expositionsdauer. wesentliche Mitursache. starker Tabakkonsum. Harnblasenkarzinom. Berufskraftfahrer
Leitsatz (amtlich)
Zur Rücknahme eines rechtswidrig begünstigenden Verwaltungsaktes nach § 45 Abs 1 SGB 10 unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 dieser Vorschrift, wenn es auf die Beurteilung der haftungsausfüllenden Kausalität ankommt.
Orientierungssatz
Zur Nichtanerkennung eines Harnblasenkarzinoms eines Berufskraftfahrers, der berufsbedingt für etwa 16 Monate gegenüber aromatischen Aminen ausgesetzt war, als Berufskrankheit gem BKV Anl Nr 1301, wenn dieser über einen Zeitraum von 30 Jahren 20 täglich Zigaretten konsumiert hatte.
Tenor
1.Die Klage wird abgewiesen.
2.Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der im Jahre 1946 geborene Kläger wendet sich gegen die Entziehung einer Rente auf unbestimmte Zeit aus der gesetzlichen Unfallversicherung. Die Beteiligten streiten insbesondere darüber, ob es sich bei der beim Kläger festgestellten Harnblasenkrebserkrankung um eine Berufskrankheit (BK) nach Nr. 1301 der Berufskrankheitenverordnung (BKV) handelt.
Der Kläger ist gelernter Friseur und war in diesem Beruf nach Abschluss seiner Ausbildung etwa fünf Jahre beschäftigt. Nach eigenen Angaben gehörte zu seiner Tätigkeit als Friseur in den ersten zwei Jahren auch das Färben von Haaren, welches er ungefähr alle zwei Tage für ca. zwanzig Minuten durchgeführt habe. Dabei wurde das Haarfärbemittel per Hand mit einem Pinsel aufgetragen; Handschuhe wurden hierbei nicht benutzt. Später wechselte der Kläger zu einem Friseursalon ausschließlich für Herren, wo er keine Haarfärbungen mehr vornahm. Im Jahr 1965 gab er seine Tätigkeit als Friseur auf.
Danach war der Kläger bis in das Jahr 2001 ausschließlich als Kraftfahrer für verschiedene Unternehmen tätig, wo er für unterschiedlich lange Zeiträume verschiedene, zum Teil gesundheitsgefährdende Stoffe transportierte. Für die Tätigkeit des Klägers als Kraftfahrer ist die Beklagte die zuständige Berufsgenossenschaft.
Der Kläger ist Raucher. Sein Tabakkonsum beträgt nach verschiedenen eigenen Angaben jedenfalls seit 35 Jahren 20 bis 40 Zigaretten pro Tag.
Im Februar 1998 wurde bei dem Kläger ein papilläres Urothelkarzinom der Harnblase (Blasentumor) im Stadium pT 1 G 2 festgestellt, welches am 20.02.1998 im Allgemeinen Krankenhaus H. durch transurethrale Resektion entfernt wurde. Am 18.03.1998 wurde eine Nachresektion der Harnblase vorgenommen. Seitdem befindet sich der Kläger in fachurologischer Tumornachsorge. In einem Bericht des Facharztes für Urologie, Herrn B., vom 09.01.2002 heißt es, das Urothelkarzinom der Harnblase sei seit Diagnosestellung ohne Rezidiv, das heißt ein gleichartiger Tumor ist am selben Ort nicht wieder aufgetreten. Der Kläger leidet seit Ende der neunziger Jahre allerdings in regelmäßigen Abständen unter Blasenentzündungen.
Mit Schreiben vom 16.04.1998 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Anerkennung der Krebserkrankung als BK sowie die Gewährung von Entschädigungsleistungen.
Die Beklagte führte daraufhin verschiedene Ermittlungen insbesondere zu der beruflichen Exposition des Klägers gegenüber - für die Entstehung einer solchen Erkrankung - gefährdenden Stoffen, insbesondere zu den so genannten aromatischen Aminen, durch.
Nach einer Stellungnahme des Technischen Aufsichtsdienstes der Beklagten (TAD) vom 12.11.1998, ermittelte der TAD nach Rücksprache mit dem Kläger bei dessen ehemaligen Arbeitgebern eine gefährdende Exposition bei seiner Tätigkeit als Kraftfahrer in den Zeiträumen 22.07.1970 bis 12.09.1970, 01.02.1971 bis 19.05.1971 sowie 08.11.1971 bis 09.03.1972 für Transporte von Bitumen und Schweröl. Diese Stoffe wurden zum Teil heiß verladen, so dass der Kläger den Dämpfen dieser Produkte ausgesetzt war. In den Zeiträumen 05.10.1970 bis 20.11.1970 sowie 20.05.1971 bis 13.11.1971 transportierte der Kläger sodann Asphalte, die seinerzeit als Bindemittel Teere enthielten. Bei diesen Tätigkeiten sei von einer Expositionszeit gegenüber aromatischen Aminen von insgesamt 16 Monaten auszugehen. Die genaue Expositionsintensität könne allerdings nicht (mehr) ermittelt werden. In den Jahren 1983 bis 1994, so die Stellungnahme des TAD weiter, habe der Kläger dann für verschieden lange Zeiträume Transporte von Vergaserkraftstoffen und Heizöl durchgeführt. Vergaserkraftstoffe und Heizöl enthielten als krebserzeugende Komponente Benzol. Ein Zusammenhang zwischen Benzoleinwirkungen und Krebserkrankungen im Bereich der Harnblase sei jedoch nicht wahrscheinlich. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten der Stellungnahme des TAD wird Bezug genommen auf den Bericht des TAD vom 12.11.1998 (Bl. 150 der Verwaltungsakte der Beklagten).
Auf Veranlassung der Bekla...