Entscheidungsstichwort (Thema)

Wirtschaftlichkeitsprüfung. Arzneikostenregress. Verordnungsfähigkeit eines Abmagerungsmittels zu Lasten der GKV. Verordnungsausschluss durch G-BA. konstitutive Wirkung

 

Orientierungssatz

Die Verordnungsfähigkeit eines Arzneimittels (hier: Acomplia/Rimonabant) zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung besteht nach der Änderung der Arzneimittel-Richtlinie - AM-RL (juris: AMRL) infolge des GMG bis zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Verordnungsausschlusses des G-BA fort. Der Beschluss des G-BA hat insoweit konstitutive Wirkung (vgl LSG Berlin-Brandenburg vom 27.2.2008 - L 7 B 112/07 KA ER).

 

Tenor

Der Beschluss vom 25.06.2008 wird aufgehoben.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert beträgt EUR 265,04.

Die Revision wird zugelassen.

 

Gründe

I. Die Klägerin ist eine an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmende Gemeinschaftspraxis eines Internisten und einer praktischen Ärztin. Sie wendet sich gegen einen Arzneimittelregress wegen zweier Verordnungen eines Appetitzüglers im Quartal IV/06.

Im Dezember 2007 beantragte die Beigeladene zu 1) die Prüfung zweier Verordnungen des Medikaments Acomplia® für ihre Versicherte Marion J. am 06.10.2006 und 21.12.2006, und mit Beschluss vom 25.06.2008 setzte die Beklagte einen Regress in Höhe von EUR 265,04 fest, weil die Verordnungen jedenfalls gegen Nr 20.1 Buchst j) AMRL verstoßen hätten.

Dagegen richtet sich die Klage, zu deren Begründung die Klägerin geltend gemacht hat, dass Nr 20.1 Buchst j) AMRL mangels darin enthaltener genauerer Definitionen und Konkretisierungen für den Ausschluss von Acomplia® aus der Leistungspflicht der GKV nicht ausreichend gewesen sei und darüber hinaus durch die Nr 18.2 AMRL verdrängt werde, weil die Anlage 8 in der Tabelle “Abmagerungsmittel (zentral wirkend)„ genau definiere, welche Arzneimittel vom Leistungsausschluss nach Nr 18 AMRL erfasst werden; angesichts der erst mit dem 13.01.2007 in Kraft getretenen Regelung der Nr. 18 AMRL sei Acomplia somit bis dahin in der GKV verordnungsfähig gewesen.

Die Klägerin beantragt,

den Beschluss vom 25.06.2008 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat auf ihren Beschluss verwiesen.

Die Beigeladenen haben keine Anträge gestellt.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen.

II.

Die Klage ist zulässig und auch in der Sache begründet. Der angefochtene Beschluss ist rechtswidrig.

Nach § 106 SGB V i.V.m. § 20 der Prüfungsvereinbarung zwischen der KVH und u. a. dem BKK-Landesverband Nord vom 03.02.1994 i.d.F. des 3. Nachtrags vom 21.06.1999 (PV) kann zwar nach dessen Abs 3 ein sich nach dem tatsächlich festgestellten oder geschätzten Mehraufwand richtender Regress festgesetzt werden, wenn der Arzt im Einzelfall gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot oder Verordnungsausschlussregelungen verstoßen hat; ein derartiger Verstoß ist der Klägerin aber hinsichtlich der fraglichen Verordnungen nicht anzulasten.

Die Verordnungen von Acomplia® waren entsprechend dessen Zulassung erfolgt; denn Acomplia® ist ein Medikament mit dem Wirkstoff Rimonabant und - inzwischen wegen seiner psychiatrischen Nebenwirkungen vom Markt genommen - seinerzeit zugelassen gewesen für folgenden Anwendungsbereich: “Zusätzlich zu Diät und Bewegung zur Behandlung einer Adipositas (BMI ab 30 kg/m2), oder übergewichtiger Patienten (BMI ab 27 kg/m2), die darüber hinaus einen oder mehrere kardiovaskuläre Risikofaktoren wie Typ-2-Diabetes oder Fettstoffwechselstörung aufweisen„, und nach dem bereits im Verwaltungsverfahren erfolgten Vortrag der Klägerin, an deren Richtigkeit zu zweifeln kein Anlass besteht, hatte die an Typ-2-Diabetes leidende Versicherte einen BMI von mehr als 27 kg/m2 gehabt.

Die Verordnungen verstießen auch weder gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot noch Verordnungsausschlussregelungen.

Zwar fehlen nach Nr 20.1 Buchst j) der Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Verordnung von Arzneimitteln in der vertragsärztlichen Versorgung (Arzneimittel-Richtlinien) in der hier maßgebenden, ab 20.08.2006 gültig gewesenen Fassung vom 16.05.2006 (BAnz 2006; Nr. 156: S. 5774) für Abmagerungsmittel und Appetitzügler im allgemeinen die Voraussetzungen für die Notwendigkeit einer entsprechenden Arzneimitteltherapie oder für deren therapeutischen Nutzen oder es kann das Behandlungsziel ebenso auch durch nicht medikamentöse Maßnahmen erreicht werden.

Indessen hatte dem Bundesausschuss für eine solche Regelung, wie sie in Nr 20.1 Buchst j) der Arzneimittel-Richtlinien wörtlich aus der früheren Regelung in Nr. 17.1 Buchst j) der bis 31.12.2003 gültig gewesenen Fassung übernommen worden ist, bis 31.12.2003 eine Regelungskompetenz gefehlt (vgl BSG 10.05.2005 - B 1 KR 25/03 R = SozR 4-2500 § 34 Nr 2 = BSGE 94, 302 = SuP 2005, 710 = Breith 2006,89 m.w.N.).

Erst mit der am 01.01.2004 in Kraft getretenen Neuregelung von § 34 SGB V durch das GMG vom 14.11.2003 ist dem Richtliniengeber nach § 92 SGB V der Ausschluss be...

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