Entscheidungsstichwort (Thema)
Wirtschaftlichkeitsprüfung. Arzneikostenregress. Verordnungsfähigkeit eines Abmagerungsmittels zu Lasten der GKV. offizielle Information einer Kassenärztlichen Vereinigung über Fortbestehen der Verordnungsfähigkeit begründet Vertrauensschutz
Leitsatz (amtlich)
1. Die Verordnungsfähigkeit eines Abmagerungsmittels zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung besteht nach der Änderung der AMRL infolge des GMG bis zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Verordnungsausschlusses des G-BA fort. Der Beschluss des G-BA hat insoweit konstitutive Wirkung.
2. Die Verordnungsfähigkeit von Abmagerungsmitteln bestimmt sich ausschließlich nach § 34 Abs 1 S 7-9 SGB 5 in Verbindung mit Ziffer 18 der AMRL.
3. Eine offizielle Information der Kassenärztlichen Vereinigung über das Fortbestehen der Verordnungsfähigkeit eines Arzneimittels begründet den Vertrauensschutz des verordnenden Arztes.
Tenor
Der Bescheid vom 30.05.2008 wird aufgehoben.
Die Beklagte trägt die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten des Klägers sowie die Gerichtskosten.
Der Streitwert wird auf 1.004,45 € festgesetzt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über eine Arzneikostenregressforderung in Höhe von 1.004,45 Euro Netto für Verordnungen des Medikaments Acomplia.
Der Kläger, Facharzt für innere Medizin, verordnete im Quartal I/07 am 08.01., 10.01. und 12.01.2007 5-mal das Arzneimittel Acomplia an 5 verschiedene Patienten.
Das streitgegenständliche Arzneimittel ist ausweislich der Fachinformation zusätzlich zu Diät und Bewegung zur Behandlung einer Adipositas oder übergewichtiger Patienten mit zusätzlichen Risikofaktoren zugelassen. Der Wert der Verordnung betrug insgesamt 1.004,45 Euro netto. Der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) hat mit Beschluss vom 18.10.2006, veröffentlicht im Bundesanzeiger am 12.01.2007, in Kraft getreten am 13.01.2007, beschlossen, dass Acomplia als Lifestylemedikament einzuordnen ist und damit nicht zu Lasten der GKV verordnet werden darf. Auf diesen Beschluss hat die Beigeladene zu 2) im Mitteilungsblatt info.pharm, Ausgabe November 2006, hingewiesen und wörtlich dargelegt: “Zur Zeit ist die Verordnung zu Lasten der GKV noch möglich."
Auf Antrag der Beigeladenen zu 1) nahm die Beklagte den Kläger mit Bescheid vom 30.05.2008 für die 5 streitgegenständlichen Verordnungen in Regress. Zur Begründung führte sie aus, dass die Beigeladene zu 2) bereits im November 2006 darauf hingewiesen habe, dass der GBA beschlossen hatte, dass Acomplia ein Lifestylearzneimittel sei und zur Abmagerung und Gewichtsreduktion nicht zur Lasten der GKV verordnet werden dürfe. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Klage.
Der Kläger trägt vor, dass der Beschluss des GBA erst mit Inkrafttreten am Tag nach der Veröffentlichung, also am 13.01.2007, rechtskräftig geworden sei. Bis zu diesem Tag sei er nicht gehindert gewesen, das Präparat im Rahmen seines ärztlichen Ermessens einzusetzen. Dem Beschluss des GBA komme konstitutive Wirkung zu. Darüber hinaus habe er sich auf die Veröffentlichung der Beigeladenen zu 2), die die Verordnungsfähigkeit bis zum Inkrafttreten des GBA-Beschlusses bestätigt habe, verlassen dürfen.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 30.05.2008 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte trägt vor, dass der GBA-Beschluss nur deklaratorische Wirkung gehabt habe. Schließlich sei das Präparat bereits vorher nach Ziffer 20.1 j der Arzneimittelrichtlinien (AMRL) als Abmagerungsmittel nicht verordnungsfähig gewesen. Die Vorschrift der Ziffer 18.2 AMRL verdränge als lex specialis die Ziffer 20.1 j erst im Moment der Veröffentlichung des Verordnungsausschlusses im Bundesanzeiger. Die Information der Beigeladenen zu 2) stelle eine ausreichende Warnung vor der Verordnung des Präparates dar.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird Bezug genommen auf die Prozessakte sowie die Verwaltungsakte der Beklagten, die ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung waren.
Entscheidungsgründe
Die Kammer hat in der Besetzung mit einer ehrenamtlichen Richterin aus den Kreisen der Vertragsärzte und Psychotherapeuten und einem ehrenamtlichen Richter aus den Kreisen der Krankenkassen verhandelt und entschieden, weil es sich um eine Angelegenheit des Vertragsarztrechts handelt (§ 12 Abs. 3 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG). Diese Besetzung trägt der Tatsache Rechnung, dass es sich bei der Beklagten um eine von der Kassenärztlichen Vereinigung und den Verbänden der Krankenkassen besetzte Behörde handelt.
Die Anfechtungsklage ist zulässig.
Eines Vorverfahrens bedurfte es nicht, da nach § 106 Abs. 5 S. 8 SGB V für Regresse wegen Unzulässigkeit von Verordnungen direkt den Klageweg eröffnet.
Die zulässige Klage ist auch begründet.
Der Bescheid der Beklagten vom 30. Mai 2008 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.
Rechtsgrundlage für den Arzneikostenregress ist § 106 Abs. 5 SGB V. Die Prüfung erfolgte entsprechend der Prüfvereinbarung auf...