Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitslosengeld II. Abzweigung. Vorliegen eines Unterhaltstitels. keine Prüfung des Bestehens der gesetzlichen Unterhaltspflicht. Ermessensausübung. Beurteilung der Leistungsfähigkeit anhand der Pfändungsgrenze. Unpfändbarkeit der Erwerbstätigenfreibeträge nach § 11b Abs 2 und 3 SGB 2

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Ablehnung der Abzweigung von Leistungen nach dem SGB 2 in Höhe der Freibeträge nach § 11b Abs 2 und 3 SGB 2 durch den Grundsicherungsträger ist nicht ermessensfehlerhaft.

2. Bei den Freibeträgen nach § 11b Abs 2 und 3 SGB 2 handelt es sich nicht um zusätzlich zu den Leistungen nach den §§ 20 und 22 SGB 2 gewährte Beträge, sondern um Regeln zur Berechnung der Leistungen für Regelleistung sowie für Unterkunft und Heizung und damit um Regeln zur Berechnung des Selbstbehaltes.

 

Orientierungssatz

1. Der Feststellung einer Unterhaltspflicht und der Leistungsfähigkeit des Leistungsempfängers durch den Leistungsträger bedarf es bei Vorliegen eines rechtskräftigen Unterhaltstitels im Rahmen der Prüfung der Tatbestandsvoraussetzungen nicht mehr (vgl BSG vom 17.3.2009 - B 14 AS 34/07 R = SozR 4-1200 § 48 Nr 3).

2. Die im Rahmen der Ermessensausübung jedoch wiederum zu berücksichtigende Leistungsfähigkeit des Leistungsempfängers beurteilt sich bei Vorliegen eines vollstreckbarer Unterhaltstitels grundsätzlich nach § 850d ZPO (vgl BSG vom 17.3.2009 - B 14 AS 34/07 R aaO).

3. Das Arbeitslosengeld II gewährleistet das soziokulturelle Existenzminimum, das dem Zugriff der Vollstreckung entzogen ist. Insofern sind dem Leistungsempfänger die Regelleistung nach § 20 SGB 2 und die angemessenen Kosten der Unterkunft nach § 22 SGB 2 als notwendiger Unterhalt iS des § 850d Abs 1 S 2 ZPO zu belassen (vgl BSG vom 17.3.2009 - B 14 AS 34/07 R aaO).

 

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger, mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, der seine Kosten selbst trägt.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt die erneute Entscheidung des Beklagten über seinen Abzweigungsantrag.

Der am 24.07.1976 geborene Beigeladene ist Vater des am 29.05.2002 geborenen Klägers und diesem gemäß einem Beschluss des Amtsgerichts I. vom 07.03.2006 zum Unterhalt verpflichtet. Der Unterhaltsbetrag betrug bis April 2012 251,- EUR, seit Mai 2012 237,- EUR. Dieser Verpflichtung kam der Beigeladene nicht nach.

Er lebt mit seiner Lebensgefährtin und drei gemeinsamen Kindern in Bedarfsgemeinschaft. Er ist als Koch in einer Pizzeria beschäftigt. Ergänzend bezieht die Familie Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) durch den Beklagten.

Am 20.06.2011 stellte der Kläger, vertreten durch den Fachbereich Jugend und Familie der Landeshauptstadt Hannover, die für ihn eine Beistandschaft zur Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen innehat, bei dem Beklagten einen Antrag auf Abzweigung eines angemessenen Teils von den laufenden Leistungen des Beigeladenen. Der Beigeladene beziehe sowohl Leistungen nach dem SGB II als auch Erwerbseinkommen. Beansprucht werde die Differenz zwischen dem dem Schuldner zu belassenen Existenzminimum nach § 850d Abs. 1 Zivilprozessordnung (ZPO) und seinem gesamten Einkommen.

Der Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 30.06.2011 ab. Zur Begründung führte er an, der Leistungsberechtigte benötige die laufende Geldleistung zur Bestreitung seines eigenen Lebensunterhaltes.

Hiergegen legte der Kläger am 06.07.2011 Widerspruch ein. Nach einem Rechtsgutachten des Deutschen Instituts für Jugendhilfe und Familienrecht e.V. vom 21.12.2009, U 6.710DI seien bei Unterhaltsverpflichteten, die sowohl Leistungen nach dem SGB II erhielten als auch Erwerbseinkommen erzielten, bei der Abzweigung von titulierten Unterhaltsansprüchen als notwendiger Unterhalt lediglich die Regelleistung und die angemessenen Kosten der Unterkunft zu belassen. Danach sei eine Abzweigung der darüber hinaus gewährten Leistungen, nämlich des anteiligen Freibetrages möglich.

Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 11.12.2012 zurück. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 48 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) seien erfüllt. Die Entscheidung stehe aber im Ermessen des Beklagten. Bei seiner Ermessensausübung müsse er die besondere Situation des Unterhaltspflichtigen berücksichtigen. Die Leistungsfähigkeit beim Vorliegen eines vollstreckbaren Unterhaltstitels bemesse sich grundsätzlich nach § 850d ZPO. Nach § 850d Abs. 1 S. 2 ZPO sei dem Schuldner so viel zu belassen, wie er für seinen notwendigen Unterhalt und zur Erfüllung seiner laufenden Befriedigung der dem Gläubiger gleichstehenden Berechtigten bedürfe. Zur Berechnung seien die §§ 19 ff. SGB II heranzuziehen. Eine Abzweigung von Einkommensfreibeträgen sei nicht möglich, weil diese bei der Bedarfsberechnung bereits berücksichtigt worden seien. Erst nach Bereinigung des Einkommens um die Freibeträge und Verteilung auf die Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft sei ein individueller Bedarf ermittelbar. Dieser...

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