Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Nichtanwendung des Leistungsausschlusses für Ausländer bei Aufenthalt zur Arbeitsuche. geringfügige Beschäftigung. Arbeitnehmereigenschaft
Orientierungssatz
Bei einem Hilfebedürftigen, der drei Stunden wöchentlich geringfügig beschäftigt ist und einen Monatsverdienst von rd 106 Euro erzielt, liegt eine Arbeitnehmereigenschaft iS des § 2 Abs 2 Nr 1 Alt 1 FreizügG/EU 2004 vor, sodass der Leistungsausschluss für ausländische Unionsbürger bei Aufenthalt zur Arbeitsuche gem § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB 2 nicht anzuwenden ist.
Tenor
1. Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 04.04.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.07.2013 verurteilt, der Klägerin für die Zeit vom 01.04.2013 bis 31.05.2013 Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitssuchende - (SGB II) in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
2. Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu zwei Dritteln.
Tatbestand
Streitig zwischen den Beteiligten ist, ob der Klägerin für den Zeitraum vom 01.03.2013 bis zum 31.05.2013 ein Leistungsanspruch nach dem SGB II zusteht.
Die am … in K. geborene Klägerin ist polnische Staatsbürgerin. Sie arbeitete 2011 in Deutschland über eine polnische Firma als Altenpflegekraft. Sie reiste am 20.05.2012 wieder nach Deutschland ein, wo sie auf eigene Kosten einen Deutschkurs bei der Volkshochschule besuchte. Sie beantragte am 30.07.2012 zum ersten Mal Leistungen bei dem Beklagten. Die Klägerin arbeitete vom 03.07.2012 bis 31.07.2012 bei als Küchenhelferin bei M. Dort arbeitete sie 27,50 Stunden in der Woche. Das Arbeitsverhältnis wurde durch den Arbeitgeber gelöst, vertragswidriges Verhalten seitens der Klägerin war nicht der Anlass. Mit Bescheid vom 14.08.2012 bewilligte der Beklagte Leistungen nach dem SGB II. Für die Kosten der Unterkunft und Heizung sind Leistungen i.H.v. 170,93 Euro bewilligt worden. Die Klägerin bewohnte seinerzeit eine 17 m² große Wohnung in H., für die sie laut Mietvertrag vom 04.08.2012 eine Inklusivmiete i.H.v. 200 Euro zu zahlen hatte. Hiervon wurde die Energiepauschale für einen 1-Personenhaushalt i.H.v. seinerzeit 29,07 Euro in Abzug gebracht.
Am 13.09.2012 zeigte die Klägerin an, dass Sie ab dem 01.09.2012 einer geringfügigen Beschäftigung bei der i. Dienstleistungen GmbH & Co. OHG nachgehe. Sie arbeitete als Reinigungskraft samstags drei Stunden. Die Vergütung war nach § 6 des Arbeitsvertrages vom 29.08.2012 am 15. des Folgemonats fällig, die Dauer und zeitliche Lage der Arbeitszeit richtete sich nach den betrieblichen Erfordernissen. Sie erzielte im März 2013 einen Nettolohn i.H.v. 132,30 Euro, im April und Mai 2013 jeweils i.H.v. 105,84 Euro.
Mit Bescheid vom 12.10.2012 bewilligte die Bundesagentur für Arbeit - Agentur für Arbeit H. - (BA) der Klägerin Arbeitslosengeld (ALG) vom 01.08.2012 bis 05.04.2013. Die Monate August bis Oktober 2012 wurden mit dem ALG II-Bezug verrechnet. Daraufhin hob der Beklagte mit Bescheid vom 17.10.2012 die Bewilligung von SGB II-Leistungen mit Wirkung vom 01.11.2012 auf.
Am 01.03.2013 beantragte die Klägerin erneut Leistungen nach dem SGB II, sie wohnte weiterhin in der gleichen Wohnung. Sie gab an, bis zum 05.04.2013 ALG zu beziehen. Am 21.01.2013 erging ein Änderungsbescheid der BA. Vom 01.01.2013 bis zum 31.03.2013 betrug der tägliche Zahlbetrag 17,86 Euro (535,80 Euro pro Monat), ab 01.04.2013 bis zum 05.04.2013 22,36 Euro. Die Klägerin hat dem Beklagten eine Bescheinigung gemäß § 5 Freizügigkeitsgesetz/EU mit Datum vom 26.09.2012 vorgelegt. In dieser Bescheinigung heißt es: Dieser Bescheinigung gilt nur zur Arbeitssuche.
Der Antrag wurde mit Bescheid vom 04.04.2013 abgelehnt. Der Beklagte führte aus, die Klägerin könne keine Leistung beanspruchen, sie habe lediglich ein alleiniges Aufenthaltsrecht zur Arbeitssuche in der Bundesrepublik Deutschland. Die Entscheidung beruhe auf § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II.
Mit Schreiben vom 19.04.2013 erhob die Klägerin hiergegen Widerspruch. Die Klägerin führte aus, dass sie einer - wenn auch nur geringfügigen - Tätigkeit nachgehe und als Arbeitnehmerin im Sinne des § 2 Abs. 2 Nr. 1. Alt. Freizügigkeitsgesetz/EU Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II habe. Der Begriff des Arbeitnehmers sei nach dem Gemeinschaftsrecht nicht eng auszulegen. Als Arbeitnehmer sei jeder anzusehen, der eine tatsächliche und echte Tätigkeit ausübe, wobei Tätigkeiten außer Betracht bleiben, die einen so geringen Umfang haben, dass Sie sich als völlig untergeordnet und unwesentlich darstellen. Das wesentliche Merkmal des Arbeitsverhältnisses bestehe darin, dass jemand während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisung Leistungen erbringe, für die er als Gegenleistung eine Vergütung erhalte. Dass die Bezahlung einer unselbstständigen Tätigkeit unter dem Existenzminimum läge, hindere nicht, die Person als Arbeitnehmer anzusehen, selbst wenn der Betroffene die Vergütung durch andere Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhaltes...