Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilfe. Eingliederungshilfe. Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft. Übernahme der Kosten für den Besuch des Förder- und Betreuungsbereichs einer WfbM. keine altersmäßige Begrenzung

 

Orientierungssatz

Bei Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft im Rahmen der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen nach den §§ 53 ff SGB 12 scheidet eine zeitliche Begrenzung in Anlehnung an das Rentenalter von 65 und bald 67 Jahren von vornherein aus (vgl VGH vom 27.12.2005 - 12 B 03.2609 = RdLH 2006, 65 sowie BVerwG vom 7.7.2006 - 5 B 18/06 und vom 21.12.2005 - 5 C 26/04 = RdLH 2006, 171).

 

Tenor

Der Bescheid vom 28.04.2011 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 27.09.2011 wird aufgehoben.

Der Beklagte hat dem Kläger seine außergerichtliche Kosten zu erstatten.

 

Tatbestand

Streitig zwischen den Beteiligten ist, ob dem Kläger über dem 31.08.2011 Eingliederungshilfe im sogenannten Förder- und Betreuungsbereich - FBB - oder lediglich im Rahmen der Tagesbetreuung für Senioren zusteht.

Der 1946 geborene Kläger ist aufgrund eines frühkindlichen Hirnschadens von Geburt an erheblich geistig behindert. Er leidet unter einer Tetraspastik sowie einer erheblichen Intelligenzminderung. Er ist nicht in der Lage zu sprechen, sich selbsttätig mit Nahrung und anderen Gegenständen zu versorgen oder sich ganz alleine zu Fuß fortzubewegen.

Bis Ende des Jahres 1999 wurde der Kläger von seiner Familie, überwiegend von seiner im Jahr 99 verstorbenen Mutter zuhause betreut. Nach dem Tod der Mutter kam es zunächst zur Feststellung seiner Leitungsfähigkeit in den FBB der evangelischen Stiftung in. Nachdem sich nach einer Übergangsphase herausgestellte, dass er nie in der Lage sein würde den Werkstattbereich, der Werkstatt für Behinderte in aufzusuchen, verblieb er im FBB.

Mit Bescheid vom 09.05.2000 bewilligte der Rechtsvorgänger des Beklagten dem Kläger ab dem 10.02.2000 Eingliederungshilfe für den Förder- und Betreuungsbereich.

Mit Bescheid vom 24.08.2011 beendete der Beklagte seine Kostenzusage für den Förder- und Betreuungsbereich und bestimmte, dass dem Kläger ab dem 01.09.2011 lediglich Eingliederungshilfe für die Tagesbetreuung für Senioren, ebenfalls in, gewährt werde.

Hiergegen erhob der Kläger am 07.09.2011 Widerspruch mit der Begründung, dass es für die Entziehung dieser Kostenzusage keine Rechtsgrundlage gebe.

Mit Widerspruchsbescheid vom 27.09.2011 wies der Beklagte den Widerspruch mit der Begründung zurück, dass der Kläger das 65. Lebensjahr erreicht habe und daher die Leistungspflicht des Beklagten für den Förder- und Betreuungsbereich ende. Der ordinierte Auftrag, den Übergang des Klägers auf den allgemeinen Arbeitsmarkt zu fördern  

(§ 136 Abs. 2 neuntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB IX -) könne nicht mehr erfüllt werden. Daher sei die Kostenübernahme zurecht beendet worden.

Hiergegen richtet sich die am 27.09.2011 zum Sozialgericht Heilbronn erhobene Klage. Zur Begründung hat der Kläger vorgetragen, dass bereits das Bundesverwaltungsgericht im Jahr 2005 entschieden habe, dass die Gewährung von Eingliederungshilfe im Rahmen eines Förder- und Betreuungsbereiches nicht mit dem Erreichen des 65. Lebensjahres ende. Zwar könne deren Zweck nicht mehr darin bestehen, den behinderten Menschen das Arbeitsleben zu integrieren, Aufgabe der Eingliederungshilfe sei nach der gesetzlichen Vorgabe des § 53 Abs. 3 Satz 1 zwölftes Buch Sozialgesetzbuch - SGB XII - die Eingliederung des behinderten Menschen in die Gesellschaft. Der Förder- und Betreuungsbereich der evangelischen Stiftung gehöre nach dem zwischen der Beklagten und dieser geschlossenen Rahmenvertrag nach § 79 Abs. 1 SGB 12 dem Leistungstyp I 4.5 an. In der Anlage zum Rahmenvertrag sei zu entnehmen, dass es zwar einerseits Ziel der Förder- und Betreuungsgruppe sei, dass der Behinderte in den Arbeitsbereich der Werkstatt für Behinderte integriert werde, soweit dies nicht möglich sei, sei jedoch die soziale Integration in die relevante Bezugsgruppe, die Entwicklung der Persönlichkeit und persönliche Kompetenzen sowie die Förderung individueller Lebenszufriedenheit anzustreben. Diese Ziele des Leistungstypes seien nur durch ein Verbleiben im Förder- und Betreuungsbereich zu erreichen, nicht aber durch die Tagesbetreuung für Senioren. Dies ergebe sich insbesondere daraus, dass die Tagesgruppe für Senioren zum überwiegenden Teil von Behinderten besucht werden, die zuvor bis zum 75. Lebensjahr den Arbeitsbereich der Werkstatt für Behinderte besucht hätten. Diese Behinderten seien weit weniger gehandicapt als der Kläger und seien durchaus in der Lage, ihren Tagesablauf teilweise selbst zu strukturieren, bei Ausflügen teilzuhaben und sich auch mit Spielen oder Musik hören die Zeit zu vertreiben. Aus diesem Grund sei der insoweit relevante Personalschlüssel für diese Gruppe der Behinderten bei einem Verhältnis von 1:12. Im Gegensatz hierzu betrage Personalschlüssel im Förder- und Betreuungsbereich mit wesentlich schwereren behinderten Personen wie der Kläger ...

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