Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld II. Unterkunft und Heizung. Darlehen zur Sicherung der Unterkunft. Stromschulden wegen Nichtzahlung der Abschläge. Stromsperrung. vergleichbare Notlage. Ermessensreduzierung. Betroffenheit eines minderjährigen Kindes. Kosten der Wiederherstellung der Stromversorgung als unabweisbarer Bedarf gem § 23 Abs 1 SGB 2
Leitsatz (amtlich)
1. Die Sperrung der Energiezufuhr stellt eine vergleichbare Notlage iS von § 22 Abs 5 S 1 SGB 2 dar. Bei einer (drohenden) Sperrung der Energie- oder Wasserzufuhr ist grundsätzlich von einer faktischen Unbewohnbarkeit einer Wohnung auszugehen und damit von einer Ermessensreduzierung iS des § 22 Abs 5 S 2 SGB 2 (vgl LSG Celle-Bremen vom 28.5.2009 - L 7 AS 546/09 B ER, vom 15.10.2008 - L 7 AS 442/08 ER und vom 19.12.2008 - L 7 AS 642/08 ER).
2. Nicht gerechtfertigt ist die Übernahme von Schulden gem § 22 Abs 5 S 2 SGB 2, wenn die Miete oder Energiekostenabschläge im Vertrauen darauf nicht gezahlt werden, dass der zuständige Leistungsträger die Miet- und/oder Energieschulden später übernehmen werde.
3. Ist von einer Einstellung der Stromversorgung ein im Haushalt des Hilfebedürftigen lebendes dreijähriges Kind betroffen und dadurch dessen Versorgung akut gefährdet, ist eine Schuldenübernahme nach § 22 Abs 5 S 2 SGB 2 in aller Regel geboten, da keine andere Entscheidung mit den grundrechtlichen Belangen des Kindes zu vereinbaren ist (Ermessensreduzierung auf Null).
Orientierungssatz
Soweit davon ausgegangen wird, dass die Kosten der Wiederherstellung der Stromversorgung (55 Euro) keine Schulden iS des § 22 Abs 5 SGB 2 darstellen, besteht ein Anspruch auf Gewährung eines Darlehens aufgrund unabweisbaren Bedarfs nach § 23 Abs 1 S 1 SGB 2 für die Stromanschlusskosten.
Tenor
Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin zur Begleichung ihrer Schulden bei den Stadtwerken D. GmbH und zur Wiederherstellung der Stromversorgung ein Darlehen in Höhe von 504,20 Euro durch Überweisung der Darlehenssumme auf das Konto der Stadtwerke D. GmbH (Kundennummer…; KtNr 34, BLZ…) zu gewähren.
Die Antragsgegnerin hat der Antragstellerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes um die Übernahme von Stromschulden durch die Gewährung eines Darlehens.
Die 1979 geborene Antragstellerin ist nach eigenen Angaben allein erziehende Mutter von zwei in ihrem Haushalt lebenden drei- und neunjährigen Kindern. Sie bezieht seit mehreren Jahren laufende Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II), zuletzt bewilligt unter Berücksichtigung des Einkommens der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft (Kindergeld und Unterhaltszahlungen) in Höhe von 79,31 Euro je Monat; derzeit steht die Entscheidung über den Folgeantrag der Antragstellerin vom 31. August 2009 aus.
Bereits im Jahr 2008 hatte die Antragstellerin Energiekostenrückstände. Die Beteiligten führten deswegen ein Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes beim Sozialgericht (SG) Hildesheim (Az.: S 45 AS 92/08 ER), in dem sich die Antragsgegnerin bereit erklärte, der Antragstellerin für die Begleichung eines Restbetrags an Schulden ein Darlehen zu gewähren. Im Gegenzug versicherte die Antragstellerin, in Zukunft die monatlichen Abschlagszahlungen pünktlich zu entrichten.
Seit Erhalt der Jahresendabrechnung der Stadtwerke D. GmbH (folgend: Stromversorgerin) vom 5. Februar 2009, nach der die Antragstellerin wegen des zurückliegenden Stromverbrauchs einen Betrag in Höhe von 65,20 Euro nachzuzahlen hatte, entrichtete sie in der Folgezeit weder den in Rechnung gestellten Betrag noch die monatlich anfallenden Abschlagszahlungen in Höhe von 48,00 Euro.
Unter dem 23. Juli 2009 erhielt die Antragstellerin wegen der aufgelaufenen Rückstände in Höhe von 363,20 Euro (inkl. Mahngebühren) erneut eine Mahnung der Stromversorgerin, mit der zugleich die Einstellung der Versorgung angekündigte wurde.
Mit Datum vom 27. August 2009 teilte die Stromversorgerin der Antragstellerin mit, dass die Energieversorgung wegen der weiterhin angewachsenen Rückstände in Höhe von 411,20 Euro in der Zeit vom 2. bis 4. September 2009 eingestellt werde. Das Schreiben der Stromversorgerin vom 27. August 2009 legte die Antragstellerin bei Abgabe des Folgeantrags am 31. August 2009 der Antragsgegnerin vor.
Am 2. September 2009 wurde die Stromversorgung eingestellt.
Mit am 3. September 2009 beim SG Hildesheim eingegangenen Schreiben vom Vortag hat die Antragstellerin den vorliegenden Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes gestellt, mit dem Ziel einer Übernahme der Stromschulden durch die Antragsgegnerin.
Die Antragstellerin trägt vor, dass sie ohne Strom weder Kochen noch Waschen könne, was insbesondere mit kleinen Kindern nicht tragbar sei; ohne funktionierenden Kühlschrank würden derzeit die Lebensmittel verderben. Zur Glaubhaftmachung der Eilbedürftigkeit hat sie einen Kontoauszug vom 31. August 2009 zur Gerichtsakt...