Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Hilfe in sonstigen Lebenslagen. Kostenübernahme für einen Dolmetscher zur Durchführung einer von der gesetzlichen Krankenkasse getragenen Psychotherapie. Ermessensreduzierung auf Null. kein Anspruch auf Hilfe bei Krankheit gem § 48 SGB 12. keine Eingliederungshilfe nach § 53 SGB 12. keine Übertragung der Rechtsprechung des OVG Lüneburg. Verfassungswidrigkeit
Leitsatz (amtlich)
Übernimmt die Krankenkasse die Kosten für eine Psychotherapie zur Behandlung einer posttraumatischen Belastungsstörung, kann der Sozialhilfeträger nach § 73 SGB 12 verpflichtet sein, die Kosten für einen Dolmetscher zur Durchführung dieser Therapie zu tragen.
Orientierungssatz
1. Ein Hilfebedürftiger hat keinen Anspruch auf Hilfe bei Krankheit gem § 48 SGB 12, da dort auf die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung iS des SGB 5 verwiesen wird. Dolmetscherkosten können nicht im Rahmen des SGB 5 übernommen werden, weil diese nicht Teil der medizinischen Behandlung sind (vgl BSG vom 10.5.1995 - 1 RK 20/94 = BSGE 76, 109 = SozR 3-2500 § 28 Nr 1 und LSG Essen vom 31.8.2006 - L 7 VG 9/05).
2. Ein Anspruch auf Eingliederungshilfe nach §§ 53 ff SGB 12 scheidet aus, wenn der Hilfebedürftige keinen Grad der Behinderung anerkannt hat und insoweit kein Antrag beim zuständigen Landesamt für Soziales, Jugend und Familie gestellt wurde.
3. Die Entscheidung des OVG Lüneburg (vgl OVG Lüneburg vom 11.1.2002 - 4 MA 1/02 = FEVS 53, 447) ist nicht auf die Sozialhilfe nach SGB 12 übertragbar, weil sie sich auf § 38 Abs 2 S 1 BSHG aF bezog und diese Regelung zum 1.1.2004 entfallen ist. Das SGB 12 enthält (für die Zeit ab 1.1.2005) keine entsprechende Regelung (vgl BSG vom 16.12.2010 - B 8 SO 7/09 R = BSGE 107, 169 = SozR 4-3500 § 28 Nr 6).
Tenor
1. Der Bescheid vom 08.06.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.10.2010 wird aufgehoben und der Beklagte verpflichtet, an die Klägerin 1.620,00 € zu zahlen.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin trägt der Beklagte.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt vom Beklagten im Rahmen von Leistungen nach dem Zwölften Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB XII) die Übernahme von Dolmetscherkosten im Rahmen einer Psychotherapie.
Die H. geborene Klägerin ist bosnische Staatsangehörige und lebt seit 1993 in Deutschland. Sie steht im laufenden Bezug von Leistungen nach dem SGB II (siehe zuletzt Bescheid vom 01.06.2011, Bl. 87 ff. der Gerichtsakte). Vor dem Hintergrund von Kriegs- und Fluchterlebnissen in Bosnien sind bei der Klägerin u.a. eine posttraumatische Belastungsstörung mit Schlafstörungen, Kopfschmerzen und Angstzuständen diagnostiziert (vgl. amtsärztliche Stellungnahme des Herrn Dr. I. vom 26.04.2002, Bl. 49 der Verwaltungsakte; ärztliche Bescheinigung des Herrn Dr. J. vom 29.09.2009, Bl. 53 der Verwaltungsakte). Die Klägerin befand sich bereits in den Jahren 2002 bis 2008 zeitweise aufgrund der genannten Erkrankung in psychotherapeutischer Behandlung bei Frau Dr. V. . Die dortige Behandlung brachte indes nach Angaben der Klägerin ohne Dolmetscher nicht den gewünschten Erfolg (vgl. Bl. 13 der Gerichtsakte).
Mit Bescheiden vom 30.03.2010 bewilligte sodann die Krankenkasse der Klägerin die Kosten für eine Psychotherapie von 25 Sitzungen (Bl. 37, 39 der Verwaltungsakte). Die Klägerin begab sich hiernach bei Frau Dipl. Psych. K. in M. in Behandlung. Dabei nahm sie auch die Dienste einer Dolmetscherin, Frau L., in Anspruch (vgl. Bl. 35 der Verwaltungsakte; Bl. 53a ff. der Verwaltungsakte). Die hierfür angefallenen Kosten sind nach Angaben der Klägerin derzeit noch nicht beglichen. Ausweislich der von der Klägerin übersandten Aufstellung entstanden bislang im Zeitraum vom 04.12.2009 bis einschließlich des 17.11.2011 Kosten in Höhe von insgesamt 2.268,00 € (Bl. 94 f. der Verwaltungsakte). Bei der Klägerin solle nach den Ausführungen von Dipl. Psych. K. eine Langzeittherapie mit regelmäßigen wöchentlichen Sitzungen im Umfang von je einer Stunde durchgeführt werden (Bl. 56 der Verwaltungsakte). Die Klägerin verfüge zwar über Basiskenntnisse der deutschen Sprache; für eine Aufarbeitung der Kriegserlebnisse und der Folgeproblematiken bedürfe es jedoch einer kompetenten sprachlichen Übersetzung. Zur Durchführung der psychotherapeutischen Sitzungen sei deshalb die Anwesenheit einer Dolmetscherin notwendig, auch um sprachlich-semantische Missverständnisse zu vermeiden (Stellungnahme vom 23.04.2010, Bl. 59 der Verwaltungsakte).
Mit Schreiben vom 16.11.2009 beantragte die Klägerin beim Beklagten die Übernahme der Dolmetscherkosten. Sie benötige einen Dolmetscher, weil es keine Therapie in ihrer Muttersprache gebe und es für eine professionelle Therapie erforderlich sei, dass 1:1 übersetzt werde (Bl. 1 der Verwaltungsakte).
Nach umfangreicheren Ermittlungen lehnte der Beklagte den Antrag mit Bescheid vom 08.06.2010 ab (Bl. 62 f. der Verwaltungsakte). Zur Begründung führte er aus, zwar sei die Beistellung eines Dolmetschers im Fall der Kläg...