Entscheidungsstichwort (Thema)

Asylbewerberleistung. Leistungseinschränkung nach § 2 Abs 3 AsylbLG bei minderjährigen Kindern von nicht (mehr) nach dem AsylbLG leistungsberechtigten Eltern. verfassungskonforme Auslegung

 

Leitsatz (amtlich)

Die Anwendung des § 2 Abs 3 AsylbLG setzt die Leistungsberechtigung der Eltern bzw des Elternteils nach § 1 AsylbLG (dem Grunde nach) voraus. Sind die im gleichen Haushalt lebenden Eltern (bzw der Elternteil) nicht mehr leistungsberechtigt nach dem AsylbLG, sondern nach dem SGB 2 oder SGB 12, ist § 2 Abs 3 AsylbLG nicht auf die (noch) nach dem AsylbLG leistungsberechtigten minderjährigen Kinder anwendbar. § 2 Abs 3 AsylbLG ist insoweit im Wege der verfassungskonformen Auslegung teleologisch zu reduzieren und lautet sinngemäß:

Minderjährige Kinder, die mit ihren, nach dem AsylbLG leistungsberechtigten, Eltern oder einem, nach dem AsylbLG leistungsberechtigten, Elternteil in einer Haushaltsgemeinschaft leben, erhalten Leistungen nach Abs 1 nur, wenn mindestens ein Elternteil in der Haushaltsgemeinschaft Leistungen nach Abs 1 erhält.

 

Tenor

Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 11. Juli 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29. Juli 2008 verurteilt, den Klägern für den Monat August 2008 Leistungen gem. § 2 Abs. 1 AsylbLG zu bewilligen und unter Anrechnung für diesen Zeitraum bereits gewährter Leistungen nach § 3 AsylbLG auszuzahlen.

Der Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Kläger zu erstatten.

Die Berufung wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Bewilligung von Leistungen nach § 2 Abs. 1 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) für den Monat August 2008, die der Beklagte unter Berufung auf § 2 Abs. 3 AsylbLG ablehnt.

Die 1992 und 1995 geborenen Kläger sind syrische Staatsangehörige und reisten gemeinsam mit ihrer allein erziehenden Mutter am 30. Juli 2004 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Ihre Mutter verfügte ab dem 26. Juni 2008 über eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) mit einer Gültigkeitsdauer bis zum 25. Juni 2010 und bezog infolgedessen ab Juli 2008 Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II). Die Kläger verfügten zunächst über Duldungen, bis ihnen der Beklagte am 7. August 2008 ebenfalls Aufenthaltserlaubnisse nach § 25 Abs. 2 AufenthG, befristet bis zum 15. Juli 2010, erteilte. Während ihres Aufenthalts in Deutschland erhielten die Kläger nach Angaben des Beklagten über einen Zeitraum von 48 Monaten - also seit ihrer Einreise - Leistungen nach § 3 AsylbLG.

Mit Bescheid vom 11. Juli 2008 bewilligte der Beklagte den Klägern “für den Monat 8/2008„ Leistungen nach § 3 AsylbLG in Höhe von 322,74 Euro (Kläger zu 1) bzw. 302,27 Euro (Kläger zu 2) und führte zur Begründung aus, dass eine Bewilligung höherer Leistungen gem. § 2 Abs. 3 AsylbLG nicht erfolgen könne, da die Mutter keine Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG beziehe.

Den Widerspruch der Kläger wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 29. Juli 2008 zurück. Zur Begründung verwies er auf den Wortlaut des § 2 Abs. 3 AsylbLG

Hiergegen richtet sich die am 4. August 2008 beim Sozialgericht (SG) Hildesheim erhobene Klage.

Die Kläger sind der Auffassung, dass § 2 Abs. 3 AsylbLG angesichts des Leistungsbezugs ihrer Mutter nach dem SGB II dahingehend verfassungskonform auszulegen sei, dass die Leistungsbeschränkung im Falle der Kläger nicht greife und ihnen Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG zu gewähren seien.

Die Kläger beantragen schriftsätzlich,

den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheides vom 11. Juli 2008 und des Widerspruchsbescheids vom 29. Juli 2008 zu verurteilen, den Klägern jeweils Leistungen gem. § 2 AsylbLG unter Anrechnung gewährter Leistungen zu gewähren.

Der Beklagte beantragt schriftsätzlich,

die Klage abzuweisen.

Er beruft sich auf den eindeutigen Wortlaut des § 2 Abs. 3 AsylbLG, der in diesem Fall voraussetze, dass die Mutter der Kläger Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG bezieht.

Die Beteiligten haben im schriftlichen Verfahren ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nach § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Prozessakte, der beigezogenen Vorprozessakte zum Az.: S 40 AY 156/08 ER sowie der Verwaltungsvorgänge der Leistungs- und Ausländerbehörden des Beklagten verwiesen. Diese Akten haben vorgelegen und sind Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.

 

Entscheidungsgründe

Gem. § 124 Abs. 2 SGG erfolgt die Entscheidung des Gerichts im Einverständnis der Beteiligten durch Urteil ohne mündliche Verhandlung.

Die zulässige Klage ist begründet.

Die angefochtene Entscheidung des Beklagten ist rechtswidrig. Die Kläger sind durch den Bescheid vom 11. Juli 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29. Juli 2008 beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 SGG, da sie in dem Monat August 2008 einen Anspruch auf Leistungen nach § 2 AsylbLG in entsprechender Anwendung des Sozialgesetzbuche...

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