Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Hilfe zur Pflege. keine Übernahme ungedeckter Pflegeheimkosten bei Heimwechsel mit unverhältnismäßigen Mehrkosten. kein Wunsch- und Wahlrecht. Kostenvergleich
Leitsatz (amtlich)
Ein Wunsch- und Wahlrecht des Hilfeempfängers in Bezug auf die Übernahme ungedeckter Pflegeheimkosten bei einem Heimwechsel besteht nicht bei unverhältnismäßigen Mehrkosten.
Orientierungssatz
Der Mehrkostenvorbehalt des § 9 Abs 2 S 3 SGB 12 setzt zunächst Alternativen zur Bedarfsdeckung voraus. Selbst wenn solche Alternativen bestehen, dh wenn bei pflegebedingt notwendiger stationärer Unterbringung Einrichtungen vorhanden sind, die zur pflegerischen Betreuung objektiv gleich gut geeignet und dazu auch bereit sind, kommt ein Mehrkostenvergleich erst zum Tragen, wenn die entsprechenden Hilfsangebote dem Pflegebedürftigen zumutbar sind (vgl LSG Stuttgart vom 22.11.2007 - L 7 SO 3132/06 und vom 2.9.2010 - L 7 SO 1357/10 ER-B).
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Gewährung höherer Hilfeleistungen zur Pflege für die Zeit ab dem 01.10.2010. Streitig ist dabei insbesondere die Übernahme ungedeckter Aufwendungen für die vollstationäre Unterbringung der Klägerin im Seniorenhaus St. K., O.-R..
Die am … 1919 geborene Klägerin ist seit dem 02.10.2009 in die Pflegestufe I eingestuft und erhält seither von der Pflegekasse (Deutsche Angestelltenkrankenkasse - Pflegekasse - W.) monatliche Pflegeleistungen (Bescheid vom 11.11.2009). In der Zeit vom 04.09.2009 bis zum 30.09.2010 war sie vollstationär im L-Heim, einem Altenpflegeheim, in einem Einzelzimmer untergebracht. Durch Bescheide vom 11.02.2010 und vom 10.12.2010 bewilligte der Beklagte der Klägerin ab dem 05.10.2009 Hilfe zur Pflege nach den Bestimmungen des Siebten Kapitels des Sozialgesetzbuches - Sozialhilfe - (SGB XII) unter Berücksichtigung eines Tagessatzes für die Heimkosten in Höhe von 76,73 €.
Am 30.09.2010 wechselte die Klägerin - ohne vorherige Rücksprache mit dem Beklagten - in das Seniorenhaus St. K., O.-R.. Die dortigen Heimkosten für ein Einzelzimmer in der Pflegestufe I belaufen sich auf kalendertäglich 86,04 €. Zu den Gründen des Heimwechsels trug die Klägerin vor, sie habe wegen der schlechten Qualität des Essens im L-Heim ständig unter Appetitlosigkeit gelitten. So habe es im L-Heim weder frisches Gemüse oder Salat noch frisches Obst gegeben. Stattdessen habe sie jeden Tag mittags und abends Pudding erhalten. Nach Rücksprache ihrer Tochter mit der Heimleiterin habe sie gelegentlich einen Apfel bekommen. Im Übrigen habe ihre Tochter die regelmäßige Versorgung mit Obst übernehmen müssen. Weiter habe sie im L-Heim nur unzureichende Möglichkeiten gehabt, sich bei gutem Wetter im Freien aufzuhalten. Für die Heimbewohner gebe es vor dem Haus nur zwei Bänke mit Platz für insgesamt acht Personen. Hier habe sie gelegentlich keinen Platz bekommen, weil alles belegt gewesen sei. Eine Unterbringung in einem Mehrbettzimmer sei ihr nicht zumutbar. Die Heimleitung des L-Heims teilte hierzu auf Anfrage des Beklagten unter anderem mit, die Anspruchshaltung der Klägerin sei von Beginn des Heimaufenthaltes an sehr ausgeprägt gewesen. Man habe in Gesprächen versucht, ihre individuellen Wünsche zu ermitteln und zu erfüllen. Dabei habe man die Essenswünsche in einer individuellen Essenskarte - wie bei anderen Heimbewohnern auch - erfasst und diese wöchentlich evaluiert und angepasst. Auf den Wunsch der Klägerin nach frischem Obst habe man ihr umgehend Äpfel, Birnen, Bananen und Kiwi angeboten. Dieses Angebot habe die Klägerin abgelehnt mit der Begründung, das Obst führe teilweise zu Verstopfung, sei teilweise zu sauer oder zu fest bzw. hart. Sie habe das Obst daher nicht verzehrt. Darauf habe man ihr Obst als Fruchtspeise oder frisch gemachten Obstsalat angeboten. Dieses Angebot habe die Klägerin nicht als frisches Obst angesehen. Nachdem sie wegen Zahnproblemen keine feste Nahrung mehr zu sich habe nehmen können, habe man ihr Obst in passierter Form zur Verfügung gestellt. Auch dieses habe sie nicht als frisches Obst angesehen. Sitzgelegenheiten seien in ausreichender Anzahl vorhanden. Ergänzend legte das L-Heim diverse Speisepläne für das Mittag- und Abendessen vor.
Gestützt auf das Ermittlungsergebnis setzte der Beklagte die Hilfeleistungen für die Zeit ab dem 01.10.2010 neu fest. Dabei berücksichtigte er hinsichtlich der Heimkosten einen Tagessatz von 76,79 € und lehnte die Übernahme der Mehrkosten im Seniorenhaus St. K. ab: Weder sei der Heimwechsel notwendig gewesen noch bestehe die Notwendigkeit für die Anmietung eines Einzelzimmers, z.B. aus gesundheitlichen Gründen (Bescheid vom 15.02.2011).
Zur Begründung ihres dagegen erhobenen Widerspruchs vertiefte die Klägerin ihr bisheriges Vorbringen. Ergänzend trug sie vor, eine aggressive Mitbewohnerin im L-Heim habe sie wiederholt bedroht; auch habe in dem Heim insgesamt eine aggressive Atmosphäre geherrscht. Im Rahmen ihr...