Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Hilfe in anderen Lebenslagen. Mehrheit von Erben. Bestattungskosten. Einsatz von Einkommen und Vermögen des nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartners. Einsatzgemeinschaft. unbestimmte Rechtsbegriffe Zumutbarkeit und angemessener Umfang. Verfassungsmäßigkeit
Leitsatz (amtlich)
1. Der im Sozialhilferecht geltende generelle Nachrangvorbehalt gebietet es, im Rahmen der Prüfung der Bedürftigkeit des zur Bestattung Verpflichteten auch das Einkommen und Vermögen seines nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartners zu berücksichtigen.
2. Maßstab für die Bedürftigkeit sind die faktischen wirtschaftlichen Verhältnisse des Hilfesuchenden.
3. Die Berücksichtigung auch des Einkommens und Vermögens des nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartners des Hilfesuchenden im Rahmen der Zumutbarkeit der Bedarfsdeckung aus eigenen Mitteln stellt keinen Bruch im System der Sozialhilfe dar, sondern ist im Gegenteil systemkonform und verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
Orientierungssatz
1. Bei einer Mehrheit von Erben ist Anknüpfungspunkt für die Höhe des Anspruchs aus § 74 SGB 12 der von dem Hilfebedürftigen nach § 426 Abs 1 S 1 BGB zu tragende Anteil an den Bestattungskosten (vgl OVG Münster vom 30.10.1997 - 8 A 3515/95 = FEVS 48, 446, 449 = NJW 1998, 2154).
2. Bei der Frage der Zumutbarkeit bzw des angemessenen Umfangs iS des § 87 Abs 1 S 1 SGB 12 handelt es sich um unbestimmte Rechtsbegriffe, die der vollen richterlichen Kontrolle unterliegen. In diesem Zusammenhang sind ua die Nähe der familiären Beziehung des Verpflichteten zum Verstorbenen zu berücksichtigen oder ggf schwere Verfehlungen des Verstorbenen gegenüber dem Verpflichtenden oder sonstige Maßstäbe und Umstände, die als solche im Allgemeinen sozialhilferechtlich unbeachtlich sind, denen aber vor dem Hintergrund des Zwecks des § 74 SGB 12 Rechnung zu tragen ist (vgl BVerwG vom 29.1.2004 - 5 C 2/03 = BVerwGE 120, 111 = NJW 2004, 1969).
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist umstritten, ob die Klägerin gegen die Beklagte Anspruch auf Übernahme von Bestattungskosten aus Sozialhilfemitteln hat.
Die 1947 geborene Klägerin ist die Tochter und Miterbin zu ½ (neben ihrem Bruder ...) auf Ableben der am 30.05.1925 geborenen und am 15.07.2006 verstorbenen ... (G.). Sie ist seit dem 10.03.2006 mit ihrem 1948 geborenen Ehemann verheiratet. Dieser ist Vater eines aus einer anderen Beziehung stammenden, 1987 geborenen Sohnes.
Am 14.08.2006 stellte die Klägerin bei der Beklagten den Antrag auf Übernahme der für die Bestattung von G. angefallenen Kosten i.H.v. insgesamt 2.818,55 € (Rechnung des Beerdigungsinstitutes ... über 1.245,55 € und Gebührenbescheid der Stadt ... - Friedhofs- und Bestattungsamt - über 1.573,00 €). Nach weiterer Sachaufklärung lehnte die Beklagte den Antrag mit der Begründung ab, der Klägerin sei es zuzumuten, auf den auf sie entfallenden Anteil der Bestattungskosten i.H.v. 776,28 € (= als erforderlich anerkannte Bestattungskosten: 2.693,55 € abzüglich Auszahlung einer Lebensversicherung aus Anlass des Todes von G.: 1.141,00 € = 1.552,55 €; davon die Hälfte) Einkommen im Umfang von 829,93 € einzusetzen. Dieser Betrag ergebe sich unter Berücksichtigung der Einkünfte der Klägerin und ihres Ehemanns (insgesamt 2.902,84 €) abzüglich Versicherungsbeiträgen (14,66 €) und Werbungskosten (80,70 €), einer Einkommensgrenze vom 1.482,00 € (ermittelt aus dem Grundbetrag i.H. des zweifachen Eckregelsatzes ≪690,00 €≫, den Aufwendungen für die Kaltmiete der von der Klägerin und ihrem Ehemann bewohnten Wohnung ≪550,00 €≫ sowie eines Familienzuschlags i.H.v. 70 v.H. des Eckregelsatzes ≪242,00 €≫), abzüglich weiterer besonderer Belastungen i.H.v. von monatlich 400,00 € sowie abzüglich eines weiteren Freibetrages von 10 v.H. des Differenzbetrages aus 925,48 €, das seien 95,55 € (Bescheid vom 14.12.2006).
Zur Begründung ihres dagegen erhobenen Widerspruchs wandte sich die Klägerin im Wesentlichen gegen die Berücksichtigung auch der Einkünfte ihres Ehemanns bei der Berechnung des zumutbaren Einkommenseinsatzes. Ihr Ehemann sei G. gegenüber nicht unterhaltspflichtig gewesen. Im Übrigen seien sie - die Eheleute - bezogen auf den Monat Januar 2007 erst 10 Monate miteinander verheiratet. Weiter sei sie selbst auf Grund ihrer eigenen Einkünfte G. gegenüber nicht unterhaltspflichtig gewesen. Durch die Altersteilzeit müsse sie etwa 250,00 bis 300,00 € Steuern nachzahlen, was die Beklagte nicht berücksichtigt habe. Gleiches gelte für Versicherungen und die Unterhaltszahlungen ihres Ehemanns gegenüber seinem Sohn. Die Erbschaft auf Ableben von G. habe sie nicht ausgeschlagen, zumal ihre Mutter mittel- und vermögenslos verstorben sei. Die Beklagte wies den Widerspruch zurück (Widerspruchsbescheid vom 12.03.2007).
Deswegen erhob die Klägerin am 29.03.2007 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe, mit der sie ihr Begehren weiter verfolgt. Zur Begründung...