Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Einkommensberücksichtigung. Zuwendungen in Form von Trinkgeld
Leitsatz (amtlich)
Die Anrechnung von Trinkgeld ist nach § 11a Abs 5 SGB II grundsätzlich ausgeschlossen, sofern die Höhe des Trinkgeldes ca 10 % der nach dem SGB II zustehenden Leistungen oder einen monatlichen Betrag von 60 € nicht übersteigt.
Tenor
1. Der Bescheid vom 02.06.2015 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 02.07.2015 sowie in der Fassung der Änderungsbescheide vom 14.07.2015, 11.08.2015, 19.08.2015 und 23.10.2015 wird abgeändert. Der Beklagte wird verurteilt, den Klägern im streitgegenständlichen Zeitraum höhere Leistungen nach dem SGB II ohne die Anrechnung von Einnahmen aus Trinkgeldzahlungen zu gewähren.
2. Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Kläger zu erstatten.
3. Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Anrechnung von Trinkgeld auf die Gewährung von aufstockenden Leistungen nach dem SGB II im Streit.
Die … geborene Klägerin ist alleinerziehende Mutter von … und … geborenen Kindern (Kläger Ziff. 2 und Ziff. 3). Die Klägerin arbeitete seit mehreren Jahren als Friseurin und bezog hierbei ergänzende Leistungen nach dem SGB II. Für ihre Unterkunft hatte sie im streitgegenständlichen Zeitraum einen monatlichen Aufwand von 580,- € (380,- € Grundmiete zuzüglich 100,- € Betriebskostenvorauszahlung und 100,- € Heizkostenvorauszahlung). Am 01.07.2015 begann sie ein neues befristetes Arbeitsverhältnis als Friseurin mit einer monatlichen Arbeitszeit von 60 Stunden für einen Bruttoarbeitslohn von 540,- €.
Auf ihren Weiterbewilligungsantrag bewilligte der Beklagte mit Bescheid vom 02.06.2015 vorläufige Leistungen nach dem SGB II für die Monate Juli bis Oktober 2015 in Höhe von 656,88 €, wobei er von einem fiktiven Einkommen in Höhe von 600,- € brutto und 500,- € netto ausging. Zur Vorläufigkeit der Bewilligung verwies der Beklagte auf § 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II in Verbindung mit § 328 Abs. 1 Satz 1 SGB III und teilte mit, dass wegen der Erzielung von Einkommen die genaue Leistungshöhe zu einem späteren Zeitpunkt festgesetzt werde. Zusätzlich übernahm der Beklagte die Kosten der Kinderbetreuung, wozu gesonderte Bescheide erfolgten.
Mit Widerspruch vom 15.06.2015 wies die Klägerbevollmächtigte zunächst zutreffend darauf hin, dass die erste Lohnzahlung erst im Folgemonat erfolge, weswegen im Juli noch kein Arbeitseinkommen angerechnet werden dürfe. Zudem wurde darauf hingewiesen, dass der Bruttolohn 540,- € und nicht 600,- € betrage.
Mit Widerspruchsbescheid vom 02.07.2015 wurde auf eine Einkommensanrechnung im Leistungsmonat Juli 2015 verzichtet, wodurch sich die weiterhin vorläufig bewilligten Leistungen in diesem Monat auf 956,88 € erhöhten. Im Übrigen wurde der Widerspruch zurückgewiesen, und für die Monate August bis Oktober 2015 ein vorläufiger Bedarf von lediglich 656,88 € angenommen. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass bei der Tätigkeit einer Friseurin mit 60 Arbeitsstunden pro Monat die Einnahme eines monatlichen Trinkgeldes in Höhe von 60,- € anzunehmen sei. Gehe man davon aus, dass ein Kunde pro Arbeitsstunde bedient werde und je Kunde 1,- € Trinkgeld gezahlt werde, ergebe sich dieser weitere Betrag, der als Arbeitseinkommen anzurechnen sei. Der Beklagte hatte die Klägerin auch im vorherigen Leistungszeitraum nach ihren Trinkgeldeinnahmen befragt, hierzu jedoch keine Antwort der Klägerin erhalten und letztlich von einer Anrechnung von Trinkgeld abgesehen. Der Beklagte ging von einem Gesamtbedarf von 1.637,88 € aus (Tatsächliche Mietkosten 580,- €; Mehrbedarf für Warmwassererzeugung 14,25 €; Regelbedarfe in Höhe von 399,- €, 267,- € und 234,- €; Mehrbedarf für Alleinerziehende 143,64). Auf diesen Bedarf rechnete der Beklagte im Juli 2015 das Einkommen der beiden Kinder in Form des Kindergelds und Unterhaltsvorschusszahlungen in Höhe von 133,- € und 180,- € an. In den Monaten August bis Oktober 2015 wurde zusätzlich das Arbeitseinkommen einschließlich angenommenem fiktiven Trinkgeld von 60,- € monatlich berücksichtigt; der Beklagte ging demnach von Bruttoeinnahmen aus Arbeitsverdienst in Höhe von 600,- € aus, von denen er 300,- € monatlich anrechnete (Bereinigung um Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 100,- €, einen Grundfreibetrag von 100,- € und einen weiteren Freibetrag nach § 11b Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 SGB II von nochmals 100,- €). Diese Änderungen wurden mit dem ersten Änderungsbescheid vom 14.07.2015 umgesetzt.
Am 22.07.2015 hat die Bevollmächtigte der Kläger beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) Klage erhoben. Die Klage richtet sich ausschließlich gegen die Anrechnung von vermutetem Trinkgeld in Höhe von 60,- € monatlich ab August 2015.
Mit dem zweiten Änderungsbescheid vom 11.08.2015 hat die Beklagte anschließend die Leistungen für die Monate September und Oktober 2015 auf 633,88 € erhöht, da ein höherer monatlicher Unterhaltsvorschuss für die beiden Kinder in Höhe von 144,- € bzw. 192,- € zu berücksichtigen war.
Im August ...