Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Eingliederungsleistungen. Einstiegsgeld. Aufnahme einer selbstständigen Erwerbstätigkeit. Ermessensentscheidung. gerichtliche Kontrolle. Unterschreitung der Regelförderungsdauer von 6 Monaten. Höhe bei Haftentlassenen mit besonderem Förderbedarf
Leitsatz (amtlich)
Zur gerichtlichen Ermessenskontrolle einer Bewilligung von Einstiegsgeld nach dem SGB 2 für einen Zeitraum von zwei Monaten.
Tenor
Der Bescheid vom 15.05.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29.08.2013 wird aufgehoben.
Der Beklagte wird verurteilt, den Bescheid vom 24.07.2012 zurückzunehmen und den Antrag des Klägers auf Bewilligung von Einstiegsgeld unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
Der Beklagte hat dem Kläger seine notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten im Rahmen eines Überprüfungsantrags über die Gewährung der Dauer und der Höhe von Einstiegsgeld.
Der 1968 geborene Kläger befindet sich seit August 2010 wieder beim Beklagten im SGB II-Leistungsbezug.
Zuvor stand der Kläger vom 01.01.2005 bis Mai 2006 im SGB II-Leistungsbezug. Der Kläger hatte zum damaligen Zeitpunkt eine Wing Tsun Kampfkunstschule in L-Stadt, die in der Zeit vom 08.03.2004 bis 31.12.2004 einen Verlust in Höhe von 13.712,50 € erzielte (Bl. 83 Verwaltungsakte). Die Wohnung des Klägers wurde im Mai 2006 geräumt. Nachträglich wurde bekannt, dass der Kläger inhaftiert worden war.
Die Verwaltungsvorgänge über den neuen Leistungsbezug des Klägers beginnen bereits im Februar 2010. Der Kläger befand sich zum Zeitpunkt der Kontaktaufnahme in der JVA C-Stadt. Endstrafe sei am 15.08.2010 (Bl. 2 Verwaltungsakte).
Im Rahmen eines Gesprächs am 13.08.2010 gab der Kläger an, schwerbehindert zu sein (Bl. 3 Verwaltungsakte). Er verfüge über kein Girokonto und kein Vermögen.
Anlässlich einer Vorsprache bei der Arbeitsvermittlerin im Juni 2011 (Bl. 43 Leistungsakte) teilte der Kläger mit, dass er erneut eine Wing Tsun Schule eröffnen wolle. Er habe einen Trainerschein mit dem Zusatz “Trainer für Frauen„ erworben und strebe auch einen Kinderschein an.
Am 05.09.2011 fand ein erstes Gespräch des Klägers mit Herrn D. vom Arbeitgeberservice des Beklagten statt. Der Kläger habe ein sehr einfaches Geschäftskonzept zur Gründung einer eigenständigen Existenz vorgelegt. Geplant sei die Gründung einer Selbstverteidigungsschule Wing Tsun. Der Kläger sei um Überarbeitung seines Konzeptes gebeten worden (Bl. 1 Verwaltungsakte). Aus dem diesem Vermerk beigefügten Konzept geht u.a. hervor, dass der Kläger über kein Startkapital verfügte, einen Schufa-Eintrag und Schulden hatte. Er plane eine Wing Tsun-Schule für Kinder, Frauen und Männer und benötige Geld zur Anschaffung diverser im Konzept genannter Gegenstände bzw. um Werbung machen zu können (Bl. 3 Verwaltungsakte).
Aus einer Übersicht zu den Schulden kann entnommen werden, dass der Kläger insgesamt 37.500 € Schulden hatte (Bl. 15 Verwaltungsakte).
Aus einer weiteren Übersicht zu den geschätzten Startausgaben geht hervor, dass diese vom Kläger mit 41.256 € angesetzt wurden (Bl. 20 Verwaltungsakte). Die monatlichen Ausgaben für das Gewerbe wurden mit 1.917 € angegeben (Bl. 27, 28 Verwaltungsakte). Das prognostizierte Einkommen in den ersten fünf Monaten lag zunächst bei 274 € und sollte im fünften Monat auf 602 € steigen (Bl. 30 Verwaltungsakte).
Aus einem Lebenslauf des Klägers geht hervor, dass dieser zuletzt als Elektriker gearbeitet hatte. Davor war er u.a. als Anlagenbediener, Techniker, Elektromechaniker und Lagerarbeiter tätig (Bl. 34 Verwaltungsakte).
Aus einer Teilnahmebescheinigung der “Wing Tsun Kampfschule von Frauen für Kinder und Mädchen„ aus A-Stadt geht hervor, dass der Kläger dort im Mai 2011 eine Schulung erfolgreich absolviert hatte (Bl. 38 Verwaltungsakte).
Mit Bescheid vom 20.01.2012 lehnte der Beklagte den Antrag auf Förderung einer eigenständigen Existenz ab. Der Kläger habe in einer überarbeiteten Fassung seines Konzeptes einen Kapitalbedarf in Höhe von ca. 20.000 € geltend gemacht, um die Wing Tsun-Schule gründen zu können. Nach Wertung der Gesamtangelegenheit müsse der Antrag abgelehnt werden. Das Vorhaben sei dem Beklagten bekannt. Man unterstelle, dass der Kläger über ausreichende Qualifikationen verfüge, um dieses Vorhaben qualitativ angemessen anbieten und umsetzen zu können. Die Höhe der notwendigen Investitionen sei realistisch, wäre aber bei einer Förderung ausschließlich über den Beklagten als unwirtschaftlich anzusehen. Dabei bewerte man die derzeitigen laufenden Leistungen, die erbracht würden, mit den beantragten Investitionen und den weiteren laufenden Zahlungen in eine ungewisse Zukunft als Unternehmer. Aufwand, Ertrag und Risiko würden betriebswirtschaftlich in keinem Verhältnis stehen. Als problematisch werde das vermutete Kundenaufkommen angesehen. Es erschließe sich dem Beklagten nicht, dass der Kläger perspektivisch über ausreichend Kundinnen und Kunden verfüge, sämtliche Kosten ...