Entscheidungsstichwort (Thema)

Erwerbsminderungsrente. Bezugszeiten vor Vollendung des 60. Lebensjahres. Rentenabschlag. Verfassungsmäßigkeit

 

Orientierungssatz

1. Die Kammer folgt nicht der Entscheidung des 4. Senats des BSG vom 16.5.2006 - B 4 RA 22/05 R = SozR 4-2600 § 77 Nr 3, wonach Erwerbsminderungsrentner, die bei Rentenbeginn das 60. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, Rentenabschlägen nur unterliegen, wenn sie die Rente über das 60. Lebensjahr hinaus beziehen.

2. Wegen der Verlängerung der Zurechnungszeit hält die Kammer den verfassungsrechtlichen Ausgangspunkt der Argumentation des BSG nicht für stichhaltig.

 

Tatbestand

Die Klägerin erstrebt eine höhere Erwerbsminderungsrente.

Die ... 1954 geborene Klägerin bezog aufgrund Bescheides der Beklagten vom 21.08.2006 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung für die Zeit vom 01.03.2004 bis zum 28.02.2007. Mit weiterem Bescheid vom 02.02.2007 bewilligte die Beklagte der Klägerin die Rente wegen voller Erwerbsminderung bis zum 31.05.2007 weiter. In dem Bewilligungsbescheid vom 21.08.2006 verminderte die Beklagte den Zugangsfaktor von 1,0 für jeden Kalendermonat nach dem 31.01.2014 bis zum Ablauf des Kalendermonats der Vollendung des 63. Lebensjahres um 0,003. Die Beklagte errechnete damit für 36 Kalendermonate eine Verminderung des Zugangsfaktors um 0,108, so dass sie die sich aus dem Versicherungsverlauf ergebenden persönlichen Entgeltpunkte mit 0,892 (1 - 0,108) multiplizierte und der Rentenberechnung dementsprechend gekürzte Entgeltpunkte zugrunde legte.

Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin mit Schreiben vom 07.09.2006 Widerspruch ein. Zur Begründung verwies sie auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 16.05.2006 - B 4 RA 22/05 R, nach dem die von der Beklagten vorgenommene Kürzung des Zugangsfaktors nicht mit § 77 Abs. 2 Satz 3 SGB VI im Einklang stehe. Diesen Widerspruch wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 27.02.2007 zurück.

Mit der am 22.03.2007 erhobenen Klage begehrt die Klägerin die Rentenbewilligung ohne eine Kürzung des Zugangsfaktors weiter. Zur Begründung beruft sie sich weiterhin auf das Urteil des BSG vom 16.05.2006. Die Minderung des Zugangsfaktors auf einen Wert unterhalb 1,0 sei danach rechtswidrig.

Die Klägerin beantragt schriftsätzlich,

die Bescheide vom 21.08.2006 und vom 02.02.2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 27.02.2007 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihr eine höhere Rente wegen Erwerbsminderung unter Zugrundelegung eines Zugangsfaktors von 1,0 ab dem 01.03.2004 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,

die Klage abzuweisen.

Sie hält die Entscheidung des BSG vom 16.05.2006 für falsch und verweist zur Begründung im Wesentlichen auf die angefochtenen Bescheide. In dem Urteil des BSG werde eine völlig neue und in der Intention des Gesetzgebers entgegengesetzte Sichtweise formuliert. Eine Neuberechnung der Rente ohne Abschläge komme daher nicht in Betracht.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der Entscheidung gewesen ist, Bezug genommen.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt. Die Beklagte hat ihr Einverständnis mit einer eventuellen Zulassung der Sprungrevision erteilt.

 

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet. Die Klägerin ist nicht durch die Bescheide vom 21.08.2006 und vom 02.02.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.02.2007 im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, denn diese Bescheide sind rechtmäßig.

Die Beklagte hat den für die Erwerbsminderungsrente maßgeblichen Zugangsfaktor zutreffend mit 0,892 bestimmt, in dem sie in Anwendung von § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 SGB VI i.V.m. § 264c SGB VI und der Anlage 23 zum SGB VI den Ausgangsfaktor 1,0 für 36 Monate um je 0,003, insgesamt also um 0,108 niedriger angesetzt hat.

Zwar entspricht die Rentenberechnung der Beklagten nicht der Auffassung des BSG im Urteil vom 16.05.2006 (B 4 RA 22/05 R). Nach dieser Entscheidung unterliegen Erwerbsminderungsrentner, die - wie die Klägerin - bei Rentenbeginn das 60. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, Rentenabschlägen nur, wenn sie Rente über das 60. Lebensjahr hinaus beziehen. Das BSG interpretiert die für die Berechnung des Zugangsfaktors maßgebende Vorschrift des § 77 SGB VI entsprechend: Gemäß § 77 Abs. 2 Nr. 3 SGB VI ist der Zugangsfaktor für Entgeltpunkte, die noch nicht Grundlage von persönlichen Entgeltpunkten einer Rente waren, bei Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit für jeden Kalendermonat, für den eine Rente vor Ablauf des Kalendermonats der Vollendung des 63. Lebensjahrs in Anspruch genommen wird, um 0,003 niedriger als 1,0. Beginnt eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vor Vollendung des 60. Lebensjahres, ist gemäß § 77 Abs. 2 Satz 2 SGB VI die Vollendung des 60....

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