Entscheidungsstichwort (Thema)
Asylbewerberleistungen. Grundleistungen. Anspruchseinschränkung. Beschränkung der Leistungen auf das physische Existenzminimum. Verfassungsmäßigkeit
Orientierungssatz
Die Anspruchseinschränkung nach § 1a Abs 4 S 2 AsylbLG begegnet im Hinblick auf die mit ihr verbundenen Rechtsfolge einer Absenkung der Leistungen auf das physische Existenzminimum erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken.
Tenor
I. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragstellern vorläufig Leistungen nach § 3 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) für die Zeit vom 04.08.2021 bis zum 31.01.2022 ohne Einschränkungen nach § 1 a Abs. 4 AsylbLG zu gewähren. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
II. Der Antragsgegner trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers.
Gründe
I. Der Antragsteller begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung, ihm vorläufig Leistungen nach § 3 AsylbLG ab 04.08.2021 ohne Anspruchseinschränkung zu gewähren. Umstritten ist insoweit eine Anspruchseinschränkung nach § 1a Abs. 4 AsylbLG.
Der Antragsteller ist syrischer Staatsangehöriger und reiste am 27.05.2021 gemeinsam mit seiner Ehefrau und den 2021, 2014 und 2017 geborenen Kindern in die Bundesrepublik Deutschland ein. Die Familie wurde dem Landkreis A-Stadt zugewiesen und ist in der A.-Einrichtung A-Stadt untergebracht.
Der Antragsteller beantragte am 17.06.2021 Asyl. Der Asylantrag wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 05.07.2021 als unzulässig abgelehnt. Die Antragsteller wurden aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen. Nach Erkenntnissen des Bundesamtes habe der Antragsteller bereits in Litauen einen Asylantrag gestellt. Im Rahmen des Asylverfahrens sei dem Antragsteller und den Familienmitgliedern von diesem Mitgliedstaat der Europäischen Union internationaler Schutz im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gewährt worden.
Der Antragsteller trug in der Anhörung vom 22.06.2021 vor, dass er in Litauen internationalen Schutz erhalten habe. Das Ziel der Familie sei von Anfang an Deutschland gewesen. Er sei zur Antragsstellung in Litauen gezwungen worden.
Mit Bescheid vom 08.06.2021 bewilligte der Antragsgegner dem Antragsteller und seinen Familienmitgliedern Leistungen nach § 3 AsylbLG für die Monate Juni und Juli 2021.
Nach der Anhörung mit Schreiben vom 22.07.2021 stellte der Antragsgegner mit Bescheid vom 30.07.2021 die Einschränkung der Leistungen nach § 1a Abs. 4 AsylbLG für den Zeitraum 01.08.2021 bis 31.0.2021 fest und gewährte dem Antragsteller Leistungen für Unterkunft, Heizung, Ernährung, Gesundheits- und Körperpflege als Sachleistung. Das die Anspruchseinschränkung nach § 1 a Abs. 4 Satz 1 AsylbLG auslösende Fehlverhalten bestehe darin, dass der Antragsteller sich in das Bundesgebiet begeben habe, obwohl ihm bereits in Litauen internationaler Schutz (bis 17.02.2026) im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gewährt worden sei. Es handele sich um eine zwingende gesetzliche Folge.
Mit Fax ihres Prozessbevollmächtigten vom 04.08.2021 legte der Antragsteller Widerspruch gegen den Bescheid vom 30.07.2021 ein. Über den Widerspruch wurde bisher, soweit ersichtlich, noch nicht entschieden.
Mit seinem Antrag vom 04.08.2021 auf einstweiligen Rechtsschutz, der am 04.08.2021 einging, hat sich der Antragsteller, vertreten durch seinen Prozessbevollmächtigten, an das Sozialgericht Landshut gewandt. § 1a AsylbLG sei evident verfassungswidrig. Die Praxis, soziokulturelle Bedarfe als entbehrlich anzusehen, sei mit den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht vereinbar. Migrationspolitische Erwägungen könnten Absenkungen des Existenzminimums nicht rechtfertigen. Offen sei die Wirksamkeit der Absenkung. Dem Antragsteller sei kein pflichtwidriges Verhalten vorzuwerfen, denn mit dem litauischen Aufenthaltstitel und dem Reisepass sei die Einreise in das Bundesgebiet erlaubt gewesen.
Die Eilbedürftigkeit ergebe sich aus der grundrechtsrelevanten Kürzung der Leistungen zur Sicherung des soziokulturellen Existenzminimums.
Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Klage gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 30.07.2021 anzuordnen und den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller vorläufig ab 04.08.2021 Leistungen gemäß § 3, 3a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2 AsylbLG (Regelbedarfsstufe 2) ohne Einschränkungen nach § 1 a AsylbLG zu gewähren.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Es seien keine Gründe ersichtlich, die gegen eine Leistungseinschränkung sprächen. Nach der Verfassung sei sogar ein vollständiger Entzug von Leistungen zulässig.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes sowie des ergänzenden Vortrags der Beteiligten wird auf die Akte des Gerichts und die beigezogene Akte des Antragsgegners verwiesen.
II. Der Antrag ist als Antrag auf Erlass einer Regelungsanordnung statthaft, zulässig und begründet.
Der Antrag...