Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. einstweiliger Rechtsschutz. Regelungsanordnung. Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs. Asylbewerberleistung. Anspruchseinschränkung nach § 1a Abs 4 AsylbLG. Beschränkung der Leistungen auf das physische Existenzminimum. Verfassungsmäßigkeit
Orientierungssatz
Es ist zweifelhaft, ob die Absenkung der Leistungen auf das physische Existenzminimum bei einer Anspruchseinschränkung nach § 1a Abs 4 AsylbLG verfassungsgemäß ist.
Tenor
Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung dazu verpflichtet, dem Antragsteller ab dem 24. April 2017 bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache, längstens jedoch bis zum 30. April 2018, Leistungen nach § 3 AsylbLG zu gewähren.
Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
Der Antragsgegner trägt die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Antragstellers.
Gründe
Der Antrag auf Anordnung einer aufschiebenden Wirkung ist gemäß § 86 b Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 SGG unzulässig. Es fehlt an einem Rechtsschutzbedürfnis, da der Antragsteller mit diesem Antrag sein Begehren auf höhere Leistungen nicht erreichen kann. In der Hauptsache kann Rechtsschutz nicht durch eine Anfechtungsklage sondern durch eine Anfechtungs- und Leistungsklage erfolgen. Mit dem Bescheid vom 20. Februar 2017 sind dem Kläger nicht bewilligte Leistungen entzogen, sondern Leistungen ab März 2017 bewilligt worden. Würde das Gericht die aufschiebende Wirkung dieses Bescheides anordnen, hätte der Kläger für den Monat März 2017 gar keinen Anspruch auf Leistungen.
Der Antrag auf einstweilige Anordnung ist zulässig und begründet. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG begründet, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung für den Erlass einer Regelungsanordnung ist stets, dass sowohl ein Anordnungsgrund (d. h. die Eilbedürftigkeit der Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile) als auch ein Anordnungsanspruch (d. h. die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines in der Sache gegebenen materiellen Leistungsanspruchs) glaubhaft gemacht werden (vgl. § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO).
Es liegt ein Anordnungsgrund vor. Der Antragsteller hat die Eilbedürftigkeit der Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile hinreichend glaubhaft gemacht. Er begehrt höhere Leistungen zur Deckung seines monatlichen Existenzbedarfs über den rein physischen Bedarf hinaus. Der Bedarf für die monatliche Existenzsicherung fällt immer aktuell an. Eine spätere Entscheidung kann den Nachteil einer laufenden Bedarfsunterdeckung nicht mehr beseitigen.
Der Antragsteller hat auch einen Anordnungsanspruch hinreichend glaubhaft gemacht. Es besteht eine hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass in der Sache ein gegebener materieller Leistungsanspruch besteht. Zwar liegt der Tatbestand der Anspruchseinschränkung nach § 1 a Abs. 4 AsylbLG in der Fassung vom 31. Juli 2016 vor. Die Rechtsfolge regelt eindeutig eine Absenkung des Anspruchs auf das physische Existenzminimum. Danach erhalten diese Personen nur noch Leistungen zur Deckung ihres Bedarfs an Ernährung und Unterkunft einschließlich Heizung sowie Körper- und Gesundheitspflege. Nur soweit im Einzelfall besondere Umstände vorliegen, können noch andere Leistungen im Sinne von § 3 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG gewährt werden. Besondere Umstände des Einzelfalls sind vorliegend nicht vorgetragen worden.
Dennoch besteht die hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass der Antragsteller in der Hauptsache höhere Leistungen erhält, da zweifelhaft ist, ob die Absenkung auf das physische Existenzminimum verfassungsgemäß ist. Das Gericht selbst hat zwar an einer Entscheidung vom 31. Januar 2017 (S 19 AY 15/16) nicht die Überzeugung gewinnen können, dass die Vorschrift verfassungswidrig ist. (Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig. Die vom Gericht zugelassene Berufung ist beim LSG unter dem Aktenzeichen L 8 AY 7/17 anhängig.) Bezüglich der Feststellung, ob eine hinreichende Wahrscheinlichkeit eines Leistungsanspruchs vorliegt, kommt es jedoch nicht nur auf das erkennende Gericht, sondern den gesamten Instanzenzug an. Da derzeit keine abschließenden höchstrichterlichen Entscheidungen vorliegen, ist es unter Berücksichtigung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli 2012 (Az: 1 BvL 10/10 und 1 BvL 2/11) hinreichend wahrscheinlich, dass die Rechtsfolge des neuen § 1 a Abs. 4 AsylbLG verfassungswidrig ist. Dies ergibt sich daraus, dass dem Antragsteller nur noch das physische Existenzminimum gewährt wird. Auch wenn die Verfassung nicht die Gewährung von bedarfsunabhängigen voraussetzungslosen Sozialleistungen gebietet (vgl. Bundesverfassungsgericht vom 7. Juli 2010 - 1 BvR 2556/09) ist den hier lebenden Personen unabhängig vom Aufenthaltsrecht neben dem physischen Existenzminimum immer auch ein soziokulturelles Existenzminimum zu gewähren. Auch wenn die Kammer in dem Haup...