Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Krankenbehandlung. Anspruch auf geschlechtsangleichende Operation. deutliche Annäherung an das Erscheinungsbild des anderen Geschlechts. operative Reduktion des Adamsapfels

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Ansprüche auf geschlechtsangleichende Operationen erstrecken und zugleich beschränken sich auf einen Zustand, bei dem aus der Sicht eines verständigen Betrachters eine deutliche Annäherung an das Erscheinungsbild des anderen Geschlechts eintritt.

2. Streitentscheidend ist allein die Frage, ob der Adamsapfel der Klägerin in einem solchen Maße vom Erscheinungsbild des weiblichen Geschlechts entfernt ist, dass durch eine operative Reduktion des Adamsapfels eine deutliche Annäherung an das Erscheinungsbild des weiblichen Geschlechts herbeigeführt wird.

 

Orientierungssatz

Zu Leitsatz 1 vgl BSG vom 11.9.2012 - B 1 KR 9/12 R.

 

Tenor

I. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 15.01.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.05.2014 verurteilt, der Klägerin die beantragte operative Reduktion des Adamsapfels zu gewähren.

II. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die operative Reduktion des Adamsapfels der transsexuellen Klägerin.

1.

Bei der am ...1985 als Mann geborenen Klägerin erfolgte in Thailand eine geschlechtsangleichende Operation mit begleitender Hormontherapie.

2.

Unter Vorlage von ärztlichen Stellungnahmen des Oberarztes der Klinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde des Klinikums der Universität C-Stadt PD. Dr. med. .... .... vom 06.11.2013 und der Leiterin der Abteilung für Phoniatrie und Pädaudiologie des Klinikums der Universität C-Stadt Dr. med. .... .... vom 12.11.2013 sowie des Protokolls und des Beschlusses des Amtsgerichts München - Vormundschaftsgericht - zur Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit nach dem Transsexuellengesetz vom 02.10.2012 beantragte die Klägerin am 12.11.2013 die Kostenübernahme für eine stationäre Krankenhausbehandlung im Klinikum der Universität C-Stadt.

Auf Veranlassung der Beklagten wurde der Medizinische Dienst der Krankenversicherung in Bayern (MDK Bayern) zur Frage der stimmerhöhenden Operation zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) beteiligt. Der MDK Bayern kam in seiner Stellungnahme nach Aktenlage vom 11.12.2013 zum Ergebnis, dass die Kostenübernahme für eine stimmerhöhende Operation aus HNO-ärztlicher Sicht zu Lasten der GKV nicht empfohlen werden könne, da die Verfahren nicht ausreichend untersucht seien. Ein Eingriff zur Reduktion des Adamapfels könne ebenfalls nicht zu Lasten der GKV empfohlen werden, da eine Entstellung nicht nachgewiesen sei.

Mit Bescheid vom 15.01.2014 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin ab.

Für die stimmerhöhende Operation liege keine medizinische Notwendigkeit einer akut-stationären Krankenhausbehandlung vor. Diese Art der Operation sei bei einer Mann-zu-Frau-Transsexualität grundsätzlich keine Leistung der GKV. Die Sozialrechtsprechung habe dies bisher nicht bestätigt.

Ein Eingriff zur Reduktion des Adamsapfels könne ebenfalls nicht übernommen werden. Es sei keine Entstellung nachgewiesen.

Mit Schreiben vom 10.02.2014 legte die Prozessbevollmächtigte der Klägerin gegen den Bescheid der Beklagten vom 15.01.2014 Widerspruch ein.

Der Bescheid habe einen Eingriff zur Reduktion des Adamsapfels zu Unrecht abgelehnt. Die Begründung, es sei keine Entstellung nachgewiesen, sei nach der neuesten Rechtsprechung des BSG überholt und sei nicht mehr haltbar.

Unter Vorlage und Bezugnahme auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 11.09.2012 - Az.: B 1 KR 11/12 R, Rdnr. 25 und auf ein Foto der Klägerin begründete die Prozessbevollmächtigte den Widerspruch.

Der Adamsapfel der Klägerin sei deutlich sichtbar und weise sie - zu Unrecht - als Mitglied des männlichen Geschlechts aus.

Nach nochmalig ablehnender Stellungnahme des MDK vom 10.03.2014 wurde mit Widerspruchsbescheid vom 14.05.2014 der Widerspruch zurückgewiesen.

Gemäß § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 Sozialgesetzbuch (SGB)V in Verbindung mit § 39 SGB V bestehe Anspruch auf Kostenübernahme für eine Krankenhausbehandlung nur dann, wenn eine Krankenbehandlung akut erforderlich ist und ausschließlich mit den besonderen apparativen und personellen Mitteln eines Krankenhauses erfolgversprechend erscheint. Dabei sei eine stationäre Krankenhausbehandlung nur dann zu bewilligen, wenn das Behandlungsziel nicht durch teilstationäre, vor- und nachstationäre oder ambulante Behandlung einschließlich häuslicher Krankenpflege erreicht werden kann.

Eine Krankheit im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung sei ein über kosmetische Defizite hinaus gehender regelwidriger Körper- oder Geisteszustand, der ärztlicher Behandlung bedarf. Nicht jeder körperlichen Unregelmäßigkeit komme Krankheitswert im Rechtssinne zu. Die Rechtsprechung des BSG habe diese Grundvoraussetzung für die krankenversicherungsrechtliche Leistungspflicht vielmehr dahingehend präzisiert, dass eine Krankheit nur vorliegt, wen...

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