Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. einstweiliger Rechtsschutz. Anordnung der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage. Asylbewerberleistung. Anspruchseinschränkung. Gewährung internationalen Schutzes durch einen anderen Mitgliedstaat der EU. Unmöglichkeit einer abschließenden Klärung. Leistungsgewährung. Verfassungsmäßigkeit
Leitsatz (amtlich)
Asylbewerbern sind im Wege einstweiligen Rechtsschutzes auch dann existenzsichernde Leistungen in vollem Umfang zu gewähren, wenn unklar ist, ob sie in einem anderen EU-Staat internationalen Schutz genießen und jedenfalls ihr weiterer Aufenthalt in der Bundesrepublik faktisch geduldet wird.
Tenor
I. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 05.10.2016 gegen den Bescheid vom 20.09.2016 wird angeordnet.
II. Der Antragsgegner hat die außergerichtlichen Kosten der Antragsteller dem Grunde nach zu erstatten.
Gründe
I.
Die Antragsteller begehren ungekürzte Leistungen nach § 3 des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG).
Die Antragstellerin zu 1. (geb. am ...1977) und ihre beiden Söhne, die Antragsteller zu 2. und 3. (geboren am ...2000 bzw. am ...2002) sind russische Staatsangehörige. Sie reisten aus der Russischen Föderation in das Bundesgebiet ein und beantragten am 20.12.2012, ihnen Asyl zu gewähren. Im Februar 2013 wurden sie dem Antragsgegner zugewiesen. Der Asylantrag wurde vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) mit Bescheid vom 06.06.2013 als unzulässig abgelehnt, nachdem von dort festgestellt worden war, dass den Antragstellern subsidiärer Schutz in Polen gewährt worden war. Die Antragstellerin zu 1. und der Antragsteller zu 2. wurden daraufhin am 05.04.2016 nach Polen abgeschoben. Der Antragsteller zu 3. war von der Polizei nicht angetroffen worden. Die Antragstellerin zu 1. und der Antragsteller zu 2. reisten am 22.04.2016 wieder in die Bundesrepublik ein und bezogen mit dem Antragsteller zu 3. vom Antragsgegner zunächst sogenannte Grundleistungen nach § 3 AsylbLG (Bescheid vom 12.05.2016). Ihnen wurde eine Duldung bis zum 03.01.2017 ausgestellt.
Am 26.08.2016 hörte der Antragsgegner die Antragsteller an. Er beabsichtige, den Antragstellern ab dem 01.10.2016 Leistungen lediglich nach § 1 a AsylbLG zu gewähren, da diese bereits über subsidiären Schutz in Polen verfügten. Wie angekündigt erging schließlich der Bescheid vom 20.09.2016. Der Antragsgegner bewilligte den Antragstellern vom 01.10.2016 an gekürzte Leistungen gem. § 1 a Abs. 4 AsylbLG in Höhe von insgesamt 1.001,53 € für Oktober 2016, 1.005,10 € für November 2016 und 1.037,09 € für Dezember 2016. Die Einschränkung der Leistungen befristete er auf 6 Monate.
Dagegen haben die Antragsteller Widerspruch eingelegt am 05.10.2016. § 1 a Abs. 4 AsylbLG sei verfassungswidrig. Da die Antragsteller vor dem 20.07.2015 Asyl beantragt hätten, dürften ihre Anträge nicht unter Hinweis auf subsidiären Schutz in einem anderen Mitgliedsstaat der Europäischen Union abgelehnt werden. Das Absenken der Leistungen unter das physische und soziokulturelle Existenzminimum aus migrationspolitischen Gründen sei ausgeschlossen (Bezug auf Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Beschluss vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11).
Daneben haben sich die Antragsteller ebenfalls am 05.10.2016 an das Sozialgericht Leipzig gewandt und Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes geltend gemacht.
Sie beantragen sinngemäß,
die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 05.10.2016 gegen den Bescheid vom 20.09.2016 anzuordnen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Er hält den angefochtenen Bescheid für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf die beigezogene Verwaltungsakte verwiesen, die Gegenstand der Entscheidung gewesen sind.
II.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist begründet, da ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 20.09.2016 bestehen.
Nach § 86 a Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) haben Widerspruch und Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung. Die aufschiebende Wirkung entfällt gem. § 86 a Abs. 2 Nr. 4 SGG in anderen durch Bundesgesetz vorgeschriebenen Fällen. Ein solcher Fall liegt hier vor, da § 11 Abs. 4 Nr. 2 AsylbLG i.d.F. vom 31.07.2016 (BGBl. I, 1939) vorsieht, dass Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt, mit welchem eine Einschränkung des Leistungsanspruchs nach § 1 a AsylbLG festgestellt wird, keine aufschiebende Wirkung haben.
Der Antrag der Antragsteller ist vor diesem Hintergrund sachdienlich gem. § 123 SGG dahin auszulegen, dass sie die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gem. § 86 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG begehren. Der Antrag ist begründet, da ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 20.09.2016 bestehen.
Die Antragsteller sind unstreitig dem Grunde nach leistungsberechtigt gem. § 1 Abs. 1 Nr. 4 AsylbLG, da sie eine Duldung nach § 60 a des Aufenthaltsgesetzes besitzen. Daher haben sie grundsätzlich Anspruch auf Leistungen nach