Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. keine Kostenübernahme einer teilweisen Störung der Geschlechtsidentität in Form einer Zisidentität. keine Transsexualität iS des Transsexuellenrechts
Leitsatz (amtlich)
1. Bei Zisidentität (Zissexualität, Interidentität, Intersexualität) besteht kein Anspruch auf körperliche Korrektur im Sinne geschlechtsangleichender Maßnahmen (Schamlippenimplantate, Klitorisvergrößerung), da insoweit keine (körperliche) Krankheit im Sinne des § 27 SGB 5 vorliegt. Denn der Regel und dem Leitbild des gesunden Menschen ist eine bipolare Geschlechtszuweisung, entweder männlich oder weiblich, immanent. Mangels körperlicher Gesundheitsstörung ist die Krankenbehandlung daher insoweit auf Maßnahmen der psychotherapeutische Intervention beschränkt.
2. Das Transsexuellengesetz ist nicht anwendbar, weil kein eindeutiges Zugehörigkeitsempfinden zum anderen Geschlecht besteht.
Nachgehend
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Sprungrevision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über eine teilweise Geschlechtsumwandlung durch Klitorisvergrößerung mit Schamlippenimplantaten.
Die 1973 geborene Klägerin leidet unter einer Störung der Geschlechtsidentität in Form einer Zisidentität. Biologisch ist sie danach eine Frau mit dem Wunsch nach einer Anpassung an das männliche Geschlecht unter Beibehaltung beidgeschlechtlicher Merkmale. Seit dem Jahr 2000 unterzog sie sich einer Hormontherapie, einer Brustreduktion und einer psychotherapeutischen Behandlung.
Am 04.05.2007 beantragte sie eine weitere Brustreduktion und eine Korrektur im Hautfaltenbereich.
Nach Einholung einer Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) von Frau Dr. A., Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie, lehnte die Beklagte den Antrag mit Bescheid vom 05.06.2007 teilweise ab. Entsprechend einem vorliegenden MDK-Gutachten aus dem Jahr 2006 könne dem Wunsch nach einer Brustreduktion gefolgt werden. Die Kosten für die beantragte subkutane Mastektomie (Re-Modellierung einer männlichen Brust mit Mamillenverkleinerung und Drüsen-/Fettentfernung) würden übernommen. Es werde die Durchführung der befürworteten Operation in der Universitätsklinik H. empfohlen. Eine Korrektur der Hautfalten im Genitalbereich werde jedoch abgelehnt, weil die gewünschte operative Behandlung zu einem Zustand führe, der eher krankhafter als der gegenwärtige einzuschätzen sei.
Hiergegen legte die Klägerin am 28.06.2007 Widerspruch ein. Neben der beantragten Brust-Operation sei auch eine Angleichung im Genitalbereich erforderlich, um endlich den gewünschten Behandlungserfolg zu erreichen. Sie fühle sich in ihrem allgemeinen Menschen-/Persönlichkeitsrecht verletzt.
Beigefügt war eine Stellungnahme des Priv.-Doz. Dr. rer. nat. habil. E. vom 15.06.2007. Seine Patientin leide unter einer Geschlechtsidentitätsstörung. Erst durch die eingeleitete gegengeschlechtliche Hormontherapie und Brustverkleinerung habe der Leidensdruck reduziert werden können. Die bewilligte weitere Brustreduktion allein reiche nicht aus, vielmehr sei der Leidensdruck nur durch beide Veränderungen zu verringern. Sie strebe deshalb die Ablösung der Klitoris von der Scheide sowie deren Vergrößerung an, sodass ein “Minipenis„ entstehe. Ferner wolle sie eine “Verdickung der Schamlippen„ dauerhaft - und nicht nur durch die Hormontherapie - erreichen. Wenn die Behandlung nicht weitergeführt werde, könne die bisher erreichte Stagnation nach bisher gelungener Therapie letztlich zu einer Gefährdung des Erfolges insgesamt führen.
Die Beklagte holte daraufhin ein Gutachten des MDK der Nervenärztin Dr. P. vom 13.07.2007 ein. Danach liegt eine schwere Wahrnehmungs- und Identitätsstörung vor. Zwar wolle die Klägerin durch die Operation eine Vergrößerung der Klitoris im Sinne eines “Minipenis„ erreichen; die Scheidenöffnung solle jedoch erhalten bleiben, um so ihre innere Zugehörigkeit zu beiden Geschlechtern gleichzeitig fühlen zu können. Nach erfolgter Operation sei aber zu befürchten, dass sich die Unzufriedenheit und Unsicherheit auf ein neues körperliches Objekt richten könne.
Durch Widerspruchsbescheid vom 04.10.2007 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Der Zustand der “Transsexualität„, d. h. die innere Spannung zwischen dem tatsächlichen Geschlecht und der seelischen Identifizierung, stelle nur dann ausnahmsweise eine Krankheit dar, wenn die Spannung zu einem schweren Leidensdruck führe, der nicht durch psychiatrische und psychotherapeutische Mittel zu lindern oder zu beseitigen sei. Nicht die subjektive Vorstellung der betroffenen Person, sondern der bestehende Leidensdruck wegen des inneren Konfliktes zwischen äußerlichem Erscheinungsbild und seelischem Empfinden sei für den Behandlungserfolg, für den die Beklagte einzustehen habe, maßgeblich. Hierbei müsse darauf abgestellt werden, ob aus der Sicht eines verständigen Betrachters eine deutliche ...