Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Einkommens- oder Vermögensberücksichtigung. Steuererstattung. Ausnahme vom Zuflussprinzip. Verzicht gem § 46 Abs 1 SGB 1
Orientierungssatz
1. Eine Steuererstattung aus überzahlter Einkommensteuer, die aus einem Zeitraum außerhalb eines Bewilligungszeitraumes resultiert und ohne rechtlichen Grund iS des § 37 Abs 2 AO 1977 gezahlt worden ist, ist nicht als Einkommen iS des § 11 Abs 1 S 1 anzurechnen, sondern wird am Ende des Veranlagungszeitraumes (Kalenderjahr) zu Vermögen iS des § 12 Abs 1 SGB 2 bleibt auch Vermögen mit der Erstattung des Betrags; hierbei handelt es sich um eine Ausnahme vom Zuflussprinzip.
2. Es ist unerheblich, ob dieses Vermögen freiwillig oder unfreiwillig angespart wurde.
3. Erklärt der Hilfebedürftige, dass er die "Zahlungseinstellung" für einen bestimmten Zeitraum "anerkenne" und ergibt sich bei der Auslegung gem § 133 BGB analog, dass die Erklärung lediglich eine falsche Einschätzung bzw falsche rechtliche Bewertung des Hilfebedürftigen beinhaltet und er offensichtlich keine Ansprüche verlieren wollte, so ist in der Erklärung kein Verzicht iS des § 46 SGB 1 zu sehen.
Tatbestand
Im Streit ist die Gewährung von Arbeitslosengeld II (Alg II) für die Zeit vom 01.04.2005 bis zum 08.09.2006; umstritten ist insbesondere, ob eine Steuererstattung als Vermögen oder als Einkommen zu qualifizieren ist.
Die Beklagte bewilligte dem im Jahr 1954 geborenen Kläger mit Bescheid vom 30.11.2004 Alg II für die Zeit vom 01.01.2005 bis zum 31.05.2005 in Höhe von monatlich 339,24 €.
Auf Grund des Einkommensteuerbescheides für das Jahr 2004 erhielt der Kläger und dessen Ehefrau eine Erstattung der Einkommensteuer in Höhe von 6.385,86 €; dieser Betrag wurde am 04.04.2005 auf dem Konto des Klägers gutgeschrieben. Hiervon unterrichtete der Kläger die Beklagte.
Mit Bescheid vom 18.04.2005 stelle die Beklagte fest, dass der Kläger auf Grund der Steuerrückerstattung nicht mehr hilfebedürftig sei und für die Zeit ab 01.04.2005 bis voraussichtlich 08.09.2006 seinen Lebensunterhalt selbst bestreiten könne.
Am 03.05.2005 beantragte der Kläger die Fortzahlung von Alg II.
Diesen Antrag lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 17.05.2005), weil der Kläger nicht hilfebedürftig sei. Hilfebedürftig sei, wer seinen Lebensunterhalt und den Unterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Person nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln sichern könne; vor allem aus dem zu berücksichtigenden Einkommen und Vermögen. Auf Grund der vom Kläger nachgewiesenen Einkommensverhältnisse (gemeint ist die Steuererstattung) sei dieser nicht hilfebedürftig im Sinne des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II).
Gegen beide Bescheide erhob der Kläger Widerspruch. Er erkenne die Zahlungseinstellung für die Monate April 2005 und Mai 2005 auf Grund des sogenannten Zuflussprinzips an; bis dahin handele es sich bei der Steuererstattung um Einkommen. Ab 01.06.2005 aber sei der noch verbliebene Rest der Steuererstattung als Vermögen anzusehen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 16.06.2005 wies die Beklagte die Widersprüche zurück. Ohne dies näher zu begründen ging die Beklagte davon aus, dass es sich bei der Steuererstattung um einmaliges Einkommen im Sinne des § 11 Abs. 1 SGB II handele, welches nach § 2 Abs. 3 der Verordnung zur Berechnung von Einkommen sowie zur Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen beim Arbeitslosengeld II/Sozialgeld vom 20.10.2004 (BGBl. I, 2622) (Alg II-V) von dem Monat an zu berücksichtigen sei, in dem es zufloss. Dagegen erhob der Kläger rechtzeitig Klage. Gleichzeitig beantragte er einstweiligen Rechtsschutz, der ihm mit Beschluss vom 16.08.2005 (S 9 AS 405/05 ER) dahingehend gewährt wurde, als die Beklagte verpflichtet wurde, ab 01.07.2005 Alg II in Höhe von monatlich 339,24 € dem Kläger zu gewähren. Gegen diesen Beschluss erhob die Beklagte Beschwerde. Das Sächsische Landessozialgericht hob daraufhin den Beschluss des Sozialgerichts auf und wies den Antrag auf einstweilige Anordnung zurück, weil es an der Eilbedürftigkeit fehle.
Der Kläger beantragt,
die Bescheide vom 18.04.2005 und vom 17.05.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.06.2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II ab dem 01.04.2005 bis 08.09.2006 nach den gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie vertritt die Auffassung, dass es sich bei der Steuererstattung um Einkommen handelt.
Wegen der Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten und auf die Gerichtsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist begründet.
Der Kläger hat Anspruch auf Gewährung von Alg II auch für die Zeit vom 01.04.2005 bis 08.09.2006, weil es sich bei der Steuererstattung um kein Einkommen, sondern um Vermögen handelt.
Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II erhalten Personen Leist...