Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. abschließende Leistungsablehnung nach vorläufiger Bewilligung wegen Verletzung von Nachweis- und Auskunftspflichten. kein materiell-rechtlicher Inhalt. sozialgerichtliches Verfahren. Anfechtungsklage. Anwendbarkeit des § 41a Abs 3 S 4 SGB 2 auf vor dem 1.8.2016 beendete Bewilligungszeiträume. Nachholung der Mitwirkungshandlung im Klageverfahren. verfassungskonforme Auslegung
Leitsatz (amtlich)
1. Die Entscheidung nach § 41a Abs 3 S 4 SGB II hat keinen materiell-rechtlichen Inhalt.
2. Gegen einen Feststellungsbescheid nach § 41a Abs 3 S 4 SGB II ist die Anfechtungsklage statthaft.
3. § 41a Abs 3 SGB II ist auch für Bewilligungszeiträume anwendbar, die vor dem 1.8.2016 beendet sind.
4. Eine Nachreichung von Unterlagen mindestens bis zur letzten mündlichen Verhandlung im Anfechtungsverfahren macht die Entscheidung nach § 41a Abs 3 S 4 SGB II rechtswidrig.
Tenor
1. Der Bescheid des Beklagten vom 29.03.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.07.2017 wird aufgehoben.
2. Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers.
3. Die Sprungrevision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um Art und Umfang der endgültigen Leistungsfestsetzung für die Monate Dezember 2011 bis einschließlich Mai 2012.
Der 1967 geborene Kläger bezieht seit 2009 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) beim Beklagten.
Der Kläger ist selbständig mit einem "Reisebüro- und Dienstleistung" - Betrieb. Für den hier streitgegenständlichen Zeitraum bewilligte der Beklagte dem Kläger aufgrund dessen Weiterbewilligungsantrages vom 23.11.2011 unter Berücksichtigung der vorläufigen Erklärung zum Einkommen aus selbständiger Tätigkeit ("vorläufige EKS") durch vorläufigen Bewilligungsbescheid vom 28.11.2011, geändert durch den Bescheid vom 03.02.2012, monatliche Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von 805,24 EUR für Dezember 2011, 856,20 EUR für Januar 2012 sowie 1014,20 EUR für Februar bis Mai 2012. Die vorläufige Bewilligungsentscheidung stützte der Beklagte auf § 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II i.V.m. § 328 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB III.
Bereits im genannten Bewilligungsbescheid vom 28.11.2011 forderte der Beklagte den Kläger auf, bis zum Ablauf von zwei Monaten nach Ende des Bewilligungszeitraums abschließende Angaben zu seinen Einnahmen und Ausgaben im Bewilligungszeitraum einzureichen. Nachdem der Kläger dies zunächst unterließ, forderte ihn der Beklagte mit Schreiben vom 04.06.2012 erneut dazu auf und setzte eine neuerliche Frist bis zum 01.12.2012. Danach unterließ der Beklagte zunächst für 3,5 Jahre weitere Aufforderungen; der Kläger reichte jedoch die geforderten Unterlagen gleichfalls nicht ein.
Mit Schreiben vom 05.09.2016 erinnerte der Beklagte den Kläger erneut an die abschließenden Angaben zu seinen Einnahmen und Ausgaben im Bewilligungszeitraum und setzte eine Frist bis zum 13.02.2017. In dem Schreiben war folgende Passage enthalten:
"Bitte beachten Sie Folgendes:
Über Ihren Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II wurde nach § 41a SGB II vorläufig entschieden. Nach Ablauf der bewilligten Leistung entscheidet der Träger der Grundsicherung abschließend über den Zeitraum. Die leistungsberechtigte Person und die mit ihr in Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen sind nach Ablauf des Leistungsbezugs verpflichtet, alle vom Träger der Grundsicherung für Arbeitssuchende geforderten leistungserheblichen Tatsachen anzugeben.
Hinweis: Seit dem 01. August 2016 tritt an die Stelle des § 40 Absatz 2 Nummer 1 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) in Verbindung mit § 328 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) der § 41a SGB II.
Auf Ihre Mitwirkungspflicht gemäß §§ 60, 66 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) weise ich Sie ausdrücklich hin.
Sofern die Unterlagen bei der abschließenden Entscheidung trotz angemessener Fristsetzung nicht vorliegen, wird für die betroffenen Leistungsmonate im Rahmen der abschließenden Entscheidung über den Leistungsantrag kein Leistungsanspruch festgestellt. Sofern nach dem materiellen Recht der Leistungsanspruch für alle Monate des Bewilligungszeitraums nur einheitlich festgestellt werden kann (§ 3 ALG II-V), ist die abschließende ablehnende Entscheidung auf den gesamten Bewilligungszeitraum zu erstrecken. Die an Sie und ihre Mitglieder Ihrer Bedarfsgemeinschaft ausbezahlten Leistungen werden in diesem Fall vollständig zurückgefordert."
Mit Schreiben vom 09.11.2016 erinnerte der Beklagte den Kläger an die geforderten Unterlagen und setzte eine neuerliche Frist bis zum 09.12.2016. Auch dieses Schreiben enthielt die genannte Belehrung. Mit weiterem Schreiben vom 16.02.2017, zugestellt am 18.02.2017 mit Postzustellungsurkunde, erinnerte der Beklagte den Kläger nochmals und setzte eine Frist bis zum 06.03.2017. Auch hier war die genannte Belehrung enthalten.
Mit Bescheid zur "Erstattung von Leistungen bei endgültiger Festsetzung des Leistungsanspruchs" vom 29...