Entscheidungsstichwort (Thema)
Erwerbsminderungsrente. Bezugszeiten vor Vollendung des 60. Lebensjahres. Rentenabschlag
Orientierungssatz
Die Kammer schließt sich der Rechtsprechung des 4. Senats des BSG an, der in seinem Urteil vom 16.5.2006 - B 4 RA 22/05 R = SozR 4-2600 § 77 Nr 3 SGB 6, entschieden hat, dass die Praxis der Rentenversicherungsträger, bei einem Recht auf Rente wegen Erwerbsminderung, das bereits vor Vollendung des 60. Lebensjahres entstanden ist, auch für Bezugszeiten vor Vollendung des 60. Lebensjahres durch Bestimmung eines niedrigeren Zugangsfaktors (= "Rentenabschlag") einen Teil der vom Rentner für die gesetzliche Rentenversicherung erbrachten Vorleistung unberücksichtigt zu lassen, gesetz- und verfassungswidrig ist.
Tenor
1. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 21. Dezember 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Februar 2007 verurteilt, die Bescheide vom 12. Dezember 2005 und 15. März 2006 dahin abzuändern, dass der Klägerin unter Zugrundelegung eines Zugangsfaktors von 1,0 ab Rentenbeginn eine höhere Rente gewährt wird.
2. Die Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu tragen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Gewährung einer höheren Erwerbsminderungsrente.
Der am ... 1953 geborenen Klägerin wurde von der Beklagten mit Anerkenntnis-Bescheid vom 12. Dezember 2005 eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung ab 1. Oktober 2003 gewährt. Bei der Rentenberechnung verminderte die Beklagte den Zugangsfaktor von 1,0 für 34 Kalendermonate um insgesamt 0,102 auf einen Wert von 0,898. Mit Bescheid vom 15. März 2006 gewährte sie der Klägerin eine Rente wegen voller Erwerbsminderung für die Zeit vom 1. Februar 2006 bis 31. Januar 2009. Nunmehr verminderte sie den Zugangsfaktor von 1,0 für 36 Kalendermonate um insgesamt 0,108 auf einen Wert von 0,892.
Am 22. Juni 2006 beantragte die Klägerin die Überprüfung der Rentenbescheide im Hinblick auf die Höhe des Zugangsfaktors. Entsprechend dem Urteil des BSG vom 16. Mai 2006 (B 4 RA 22/05 R) sei bei der Berechnung ihrer Rente ein Zugangsfaktor von 1,0 zu berücksichtigen.
Mit Bescheid vom 21. Dezember 2006 lehnte die Beklagte den Antrag auf Neuberechnung der Rente ab. Mit dem BSG-Urteil, auf das sich die Klägerin berufe, werde eine völlig neue und der Intention des Gesetzes entgegen gesetzte Sichtweise formuliert. Anders als das BSG sei der Gesetzgeber eindeutig davon ausgegangen, dass auch die Erwerbsminderungsrenten mit einem Abschlag zu versehen sind, die vor dem 60. Lebensjahr in Anspruch genommen werden.
Die Beklagte wies den Widerspruch der Klägerin vom 8. Januar 2007 mit Widerspruchsbescheid vom 7. Februar 2007 als unbegründet zurück.
Dagegen hat die Klägerin am 15. Februar 2007 beim Sozialgericht Lübeck Klage erhoben. Sie beruft sich weiterhin auf die genannte BSG-Entscheidung.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 21. Dezember 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Februar 2007 zu verurteilen, die Bescheide vom 12. Dezember 2005 und 15. März 2006 dahin abzuändern, dass der Klägerin unter Zugrundelegung eines Zugangsfaktors von 1,0 ab Rentenbeginn eine höhere Rente gewährt wird.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist sie auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide.
Das Gericht hat die Verwaltungsakte der Beklagten beigezogen und zusammen mit der Prozessakte zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig und begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 21. Dezember 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Februar 2007 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin daher in ihren Rechten. Die Klägerin hat einen Anspruch auf die Gewährung einer höheren Erwerbsminderungsrente unter Berücksichtigung eines Zugangsfaktors von 1,0 ab Rentenbeginn. Die Rentenbescheide sind entsprechend abzuändern.
Rechtsgrundlage für das Klagebegehren ist § 44 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X). Danach ist, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind, der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Diese Voraussetzungen liegen vor, da die Beklagte bei Erlass der Rentenbescheide vom 12. Dezember 2005 und 15. März 2006 das Recht unrichtig angewandt hat.
Zu Unrecht hat die Beklagte der Rentenberechnung einen um Abschläge verminderten Zugangsfaktor zugrunde gelegt. Gemäß § 77 Abs. 1 SGB VI richtet sich der Zugangsfaktor nach dem Alter der Versicherten bei Rentenbeginn und bestimmt, in welchem Umfang Entgeltpunkte bei der Ermittlung des Monatsbetrags der Rente als persönliche Entgeltpunkte zu berücksichtigen sind. Durch einen niedrigeren Zugangsfaktor als 1,0 soll entsprechend § 63 Abs. 5 SGB VI der Vo...