Entscheidungsstichwort (Thema)
Übernahme von Fahrtkosten für den Schulbesuch durch den Sozialhilfeträger
Orientierungssatz
1. Nach § 73 SGB 12 können Leistungen in sonstigen Lebenslagen erbracht werden, wenn sie den Einsatz öffentlicher Mittel rechtfertigen. Voraussetzung hierzu ist, dass eine atypische Bedarfslage besteht, die auch in anderen Bereichen des Sozialrechts nicht abschließend geregelt ist.
2. Zwar umfasst der Regelbedarf nach § 20 SGB 2 auch die Aufwendungen zum typischen Schulbesuch; nicht jedoch die atypische Lebenssituation, dass im besonderen Einzelfall sonst der Besuch einer zur Hochschulreife führenden Schule nicht möglich wäre. Eine sonstige Lebenslage ist dann zu bejahen, wenn der Schüler ohne die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel nicht in der Lage wäre, das Gymnasium zu besuchen.
3. Der Zugang zur Bildung ist eine zentrale Aufgabe des Einsatzes öffentlicher Mittel, weil dadurch die Zukunftsperspektiven des Landes maßgeblich beeinflusst werden. Deshalb ist der Einsatz öffentlicher Mittel zur Übernahme der Schülerbeförderungskosten im Einzelfall geboten, um die Teilhabechancen für Jugendliche aus Haushalten von SGB 2-Leistungsbeziehern zu fördern.
Tenor
Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 01.02.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.03.2007 verurteilt, die Fahrtkosten der Klägerin für den Schulbesuch seit August 2007 in Höhe von 1.639,55 Euro zu übernehmen.
Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
Die Sprungrevision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Übernahme von Fahrtkosten für den Schulbesuch.
Die am H. 1991 geborene Klägerin ist Mitglied einer siebenköpfigen Bedarfsgemeinschaft. Sie erhielt in der Vergangenheit Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Diese setzten sich aus der Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhaltes in Höhe von 278,- Euro monatlich sowie anteiligen Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 106,60 Euro monatlich zusammen. Sie besucht ein Gymnasium in I., welches 22 km von ihrem Wohnort entfernt liegt. Ein näher gelegenes Gymnasium besteht nicht. Im Schuljahr 2007/2008, welches am 30.08.2007 begann, besuchte sie die 11. Klasse. Bis einschließlich der 10. Schulklasse wurden die Kosten für die Anschaffung einer Monatskarte vom Schulamt bezahlt. Ab dem 30.08.2007 musste die Klägerin die Fahrtkosten für eine Schülermonatskarte bzw. für Einzelfahrkarten selbst aufwenden.
Während des Rechtsstreits über die Kostentragungspflicht erhielt die Klägerin vom Diakonischen Werk des Evangelisch-lutherischen Kirchenkreises I. für die mit dem Schulbesuch verbundenen Fahrtkosten eine Beihilfe von 110,- Euro.
Am 15.01.2007 beantragte die Klägerin beim Beklagten die Übernahme der Kosten für die Anschaffung einer Monatsfahrkarte ab dem 11. Schuljahr. Sie machte geltend, die Kosten könnten aus den ihr gewährten Leistungen nicht finanziert werden.
Mit Bescheid vom 01.02.2007 lehnte der Beklagte den Antrag ab. Zur Begründung führte er aus, für das Begehren bestehe keine Anspruchsgrundlage. Die Kosten seien aus der Regelleistung zu tragen.
Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein, welchen der Beklagte mit am 13.04.2007 zugegangenem Widerspruchsbescheid vom 29.03.2007 zurückwies.
Die Bundesagentur für Arbeit - Agentur für Arbeit Uelzen - lehnte einen gleichlautenden Antrag der Klägerin ebenfalls ab.
Die Klägerin hat am 08.05.2007 Klage erhoben. Sie trägt vor, ohne die Übernahme der Schülerbeförderungskosten sei es ihr nicht möglich, das Gymnasium in I. besuchen. Das Niedersächsische Schulgesetz gehe offensichtlich davon aus, dass Personen ab dem 11. Schuljahr ihren Schulweg mit dem Fahrrad zurücklegen könnten. Dies könne für kurze Strecken sinnvoll sein. Bei einer Entfernung von 22 km sei jedoch die Benutzung des Fahrrades unzumutbar.
Die aufgewendeten Kosten seit dem 30.08.2007 bis zum Tage der mündlichen Verhandlung betrugen insgesamt 1.749,55 Euro. Darin waren in den meisten Monaten die Kosten für eine Monatsfahrkarte in Höhe von 89,25 Euro enthalten. In einigen Monaten, insbesondere in Ferienzeiten, kaufte die Klägerin statt dessen günstigere, für kürzere Zeiträume geltende Fahrkarten. Ein Jahresabonnement hätte 74,40 Euro pro Monat gekostet. Der Beklagte gewährte der Klägerin aufgrund eines Beschlusses des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen in einem Eilverfahren (Beschluss v. 03.12.2007, Az.: L 7 AS 666/07 ER) bis zur mündlichem Verhandlung Leistungen in Höhe von insgesamt 1.639,55 Euro.
Die Klägerin beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 01.02.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.03.2007 zu verurteilen, ihre Fahrtkosten für den Schulbesuch seit August 2007 zu übernehmen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er trägt vor, der Schulbesuch eines Kindes folge aus der Schulpflicht und stelle keinesfalls eine besondere Lebenslage dar. Weite Schulwege und daraus resultierende hohe Beförderungskosten seien insbesondere im ländlichen R...