Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Eingliederungshilfe. Persönliches Budget. fehlende Zielvereinbarung. Regelung als Nebenbestimmung zum Bewilligungsbescheid. Leistungserbringung nach § 75 Abs 4 SGB 12. Wunsch nach inklusiver Betreuung. Nichtvorlage eines Leistungsangebots durch den Leistungserbringer. Aufklärungspflicht des Sozialhilfeträgers. Anwendbarkeit des § 75 Abs 4 SGB 12 trotz laufender Vertragsverhandlungen
Leitsatz (amtlich)
Der vorherige Abschluss einer Budgetvereinbarung stellt für die Bewilligung eines Persönlichen Budgets keine materielle Anspruchsvoraussetzung dar. Vielmehr ist es Sache des Leistungsträgers, den Inhalt der fehlenden Budgetvereinbarung als Nebenbestimmung in den Bewilligungsbescheid aufzunehmen.
Orientierungssatz
1. Die Leistungserbringung nach § 75 Abs 4 SGB 12 durch eine Einrichtung, mit der keine Vereinbarung iS des § 75 Abs 3 SGB 12 abgeschlossen wurde, kann im Einzelfall aufgrund des Wunsches des Leistungsberechtigten nach einer inklusiven Betreuung geboten sein.
2. Wenn der Einrichtungsträger ein Leistungsangebot iS des § 75 Abs 4 S 2 SGB 12 nicht von sich aus vorlegt, ist es Sache der Behörde, dies im Rahmen der Amtsermittlung beizuschaffen.
3. Die Anwendbarkeit des § 75 Abs 4 SGB 12 ist während der Dauer von Verhandlungen über den Abschluss von Vereinbarungen nach § 75 Abs 3 SGB 12 nicht gesperrt.
Tenor
1. Es wird festgestellt, dass der Bescheid des Beklagten vom 12.8.2015 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 25.11.2015 rechtswidrig gewesen ist.
2. Der Beklagte hat dem Kläger seine außergerichtlichen Kosten dem Grunde nach zu erstatten.
Tatbestand
I.
Die Beteiligten streiten im Rahmen der sozialhilferechtlichen Eingliederungshilfe für behinderte Menschen um die Finanzierung tagesstrukturierender Maßnahmen im Rahmen eines persönlichen Budgets für die Zeit vom 1.8.2015 bis zum 31.7.2016.
II.
Der am … 1984 geborene - somit heute 32jährige - Kläger leidet an einem Asperger-Autismus mit erheblicher Beeinträchtigung der Kommunikationsfähigkeit und ist deshalb zu 100% schwerbehindert (mit Merkzeichen H und B). Er steht unter der gesetzlichen Betreuung seiner Mutter.
In einer Zielvereinbarung vom 11.2.2015 verständigten sich die Beteiligten im Rahmen der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen auf ein monatliches persönliches Budget von 3.078 € (Budgetzeitraum: August 2014 bis Juli 2015). Diese Zielvereinbarung unterzeichnete der Kläger jedoch nur unter Vorbehalt, denn dem Kläger erschien der Budgetbetrag nicht ausreichend, um seine Betreuung durch den Dienstleister Communi-Care vollumfänglich sicherzustellen.
Hierzu teilte der Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 12.2.2015 mit, dass Communi-Care bei einer etwaigen Verlängerung des persönlichen Budgets ab dem 1.8.2015 nicht mehr als Leistungserbringer akzeptiert werden könne. Als geeignete Leistungserbringer für die Tagesbetreuung stünden SeLMA Autismus Rhein-Neckar e.V. oder die Lebenshilfe Heidelberg zur Verfügung.
Entsprechend der Zielvereinbarung vom 11.2.2015 bewilligte der Beklagte dem Kläger sodann mit Bescheid vom 18.2.2015 für die Zeit vom 1.8.2014 bis zum 31.7.2015 Leistungen der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen in Form eines persönlichen Budgets (3.078 € monatlich).
Mit seinem Widerspruchsschreiben vom 20.2.2015 machte der Kläger geltend, die von dem Beklagten alternativ empfohlenen Leistungserbringer (Autismusgruppe der Lebenshilfe und SeLMA) hätten sich in der Vorgeschichte als ungeeignet erwiesen. Er sei in der Autismusgruppe der Lebenshilfe von Anfang an betreut worden und habe sich dort trotz angeblich fachlicher Betreuung “dramatisch zurückentwickelt und starke Aggressionen entwickelt„. Er sei dann für etwa eineinhalb Jahre bei SeLMA betreut worden. Die dortigen Betreuer seien mit ihm nicht zurechtgekommen und hätten das Betreuungsverhältnis deshalb gekündigt. Hierdurch habe er eine große Krise durchgemacht und sich bei Communi-Care, wo er nun betreut werde, wieder sehr gut entwickelt. Er bitte deshalb darum, einen Weg zu finden, dass die erfolgreiche Betreuung durch Communi-Care (Frau W.) weiter finanziert werden könne.
Der Widerspruch ist jedoch erfolglos geblieben (Widerspruchsbescheid vom 14.7.2015): Der Widerspruch sei unzulässig, denn bei dem Schreiben vom 12.2.2015 handele es sich nicht um eine verbindliche Regelung (Verwaltungsakt), sondern um einen schlichten Hinweis, dass beabsichtigt sei, Communi-Care ab dem 1.8.2015 nicht mehr als Leistungserbringer zu akzeptieren.
III.
Am 16.7.2015 teilte der Kläger dem Beklagten mit, er wolle weder das tagesstrukturierende Angebot von SeLMA (Autismus Rhein-Neckar) noch dasjenige der Lebenshilfe Heidelberg in Anspruch nehmen. Er wünsche ausdrücklich, weiterhin das Betreuungsangebot der Communi-Care nutzen zu können. Nur dort habe er die Möglichkeit mit einer qualifizierten Begleitung die Form der Inklusion zu leben, in die er von Kindheit an hineingewachsen sei.
Mit Schreiben vom 27.7.2015 hörte der Beklagte den Kläger dazu an, dass beabsichtigt s...