Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragsärztliche Versorgung. Vorliegen einer tatsächlichen Berufsausübungsgemeinschaft (Gemeinschaftspraxis). Kassenärztliche Vereinigung. Ermessenserwägungen bei einer Honorarberichtigung im Rahmen einer patientenbezogenen Plausibilitätsprüfung
Leitsatz (amtlich)
1. Ein Einlesen und Speichern der Daten der Krankenversichertenkarte vor Erbringung einer Leistung (Vorabeinlesung) im Rahmen einer Praxisgemeinschaft ist, wenn es nicht nur in ganz vereinzelten Fällen vorkommt, ein deutliches und kaum zu widerlegendes Indiz für das Vorliegen einer tatsächlichen Berufsausübungsgemeinschaft (Gemeinschaftspraxis).
2. Es kann offenbleiben, ob mit LSG Darmstadt vom 30.11.2016 - L 4 KA 22/14 -, Umdruck S 25, es ausreicht, dass die Kassenärztliche Vereinigung in ihre Ermessenserwägungen bei einer Honorarberichtigung im Rahmen einer patientenbezogenen Plausibilitätsprüfung die Größenordnung der gegenseitigen Vertretung von unter 10% im Fachgruppendurchschnitt in Hessen einstellt und dieser Wert mit der Kürzung nicht unterschritten wird. Jedenfalls dann, wenn wie hier Vertretungen bei stundenweiser Abwesenheit des Gemeinschaftspraxispartners und insb. in größerem Umfang Vorabeinlesungen erfolgt sind, kann ein Schätzungsermessen auch unter die Grenze von 20 % gemeinsamer Fälle ausgeübt werden.
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die notwendigen Verfahrenskosten zu tragen.
3. Der Streitwert wird auf 12.426,00 € festgesetzt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um Honorarrückforderungen in Höhe von 12.426,00 € aufgrund von patientenbezogenen Plausibilitätsprüfungen der Honorarabrechnungen der zwei Quartale IV/10 und I/11, die die Beklagte insb. mit Hilfe eines Praxisabgleichs innerhalb der Praxisgemeinschaft des Klägers mit Herrn Dr. C. mit einem Anteil gemeinsamer Patienten von 25,95 % und 27,43 % durchgeführt hat.
Der Kläger ist als Facharzt für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde seit 1990 zur vertragsärztlichen Versorgung mit Praxissitz in A-Stadt, A-Straße, zugelassen. Herr Dr. C. ist ebf. als Facharzt für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde am gleichen Praxissitz zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Sie führen eine Praxisgemeinschaft.
In den Quartalen I/08 bis II/11 setzte die Beklagte das Honorar des Klägers wie folgt fest:
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Quartal |
I/08 |
II/08 |
III/08 |
IV/08 |
Honorar PK/EK/SKT in € |
63.01.434 |
54.610,98 |
59.526,53 |
53.994,73 |
Fallzahl |
1.434 |
1.202 |
1.370 |
1.219 |
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Quartal |
I/09 |
II/09 |
III/09 |
IV/09 |
Honorar PK/EK/SKT in € |
67.403,22 |
68.850,68 |
57.358,90 |
44.680,57 |
Fallzahl |
1.345 |
1.108 |
1.173 |
907 |
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Quartal |
I/10 |
II/10 |
III/10 |
IV/10 |
Honorar PK/EK/SKT in € |
74.278,29 |
93.740,17 |
75.609,06 |
82.828,69 |
Fallzahl |
1.153 |
1.328 |
1.355 |
1.183 |
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Quartal |
I/11 |
II/11 |
Honorar PK/EK/SKT in € |
71.155,47 |
73.292,84 |
Fallzahl |
1.371 |
1.175 |
Die Beklagte forderte den Kläger unter Datum vom 23.03.2012 aufgrund einer Plausibilitätsprüfung der Quartalsabrechnung für die Quartale I/08 bis I/11 zu einer Stellungnahme auf. Sie habe die Honorarabrechnung des Klägers zusammen mit der Honorarabrechnung der Praxis Dr. med. C. in A-Stadt, mit der der Kläger eine Praxisgemeinschaft bilde, einer Plausibilitätsprüfung unterzogen. Es sei analysiert worden, wie viele Patienten von beiden Ärzten gemeinsam behandelt und abgerechnet worden seien. Hierbei habe sie eine Anzahl von gemeinsam abgerechneten Fällen festgestellt, was sie zahlenmäßig in einer Tabelle darstellte. Ferner fügte sie eine Patientenliste mit je 7 Patientennamen für die Quartale I/08, I/09, II/10 und I/11 bei.
Der Kläger trug unter Datum vom 29.05.2012 vor, es handele sich bei der Praxisgemeinschaft mit seinem Partner C. nicht um eine versorgungsbereichsidentische Praxisgemeinschaft im engeren Sinne, da die vier Facharzt-Zusatzbezeichnungen klar differierten und keine Schnittmengen aufwiesen. So besitze Herr C. die Teilgebiets-Zusatzbezeichnung "Stimm- und Sprachstörungen", die bis auf den pädaudiologischen Bereich mit dem "Facharzt für Phoniatrie und Pädaudiologie" quasi identisch sei. Des Weiteren besitze Herr C. die Zusatzbezeichnung "Plastische Operationen". Zudem habe er sich auf den für das HNO-Fachgebiet so wichtigen Neubereich der GERD (gastroösophagische Refluxerkrankungen) subspezialisiert. Er besitze hingegen die Teilgebiets-Zusatzbezeichnungen "Allergologie" sowie "Umweltmedizin". Allein diese deutlichen Differenzen der Subspezialisierungen bewirke einen zusätzlichen Anstieg von identischen Fällen über den Wert von 20 % hinaus. Die Erhöhung der Zahl identischer Patienten folge aus der Abklärung von Fragestellungen in den jeweiligen Teilgebietsbereichen. Da eine bis zu 20 %-ige Patientenidentität bei versorgungsbereichsidentischen Praxisgemeinschaften nicht implausibel sei, erkläre allein dieser Umstand schon Werte von bis zu 30 % gleicher Patienten. Die Quartale, in denen sich Werte knapp über 30 % ergäben, beruhten auf zeitversetzten Urlauben, auch auf zeitversetzten Abwesenheiten an Einzeltagen, z. B. bedingt dadurch, dass an einem Tag in jeder Woche ein Partner OP-be...