Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Versorgung mit empfängnisverhütenden Mitteln. Vollendung des 20. Lebensjahres. keine Ausnahme für geistig schwer behinderte Versicherte. empfängnisverhütende Mittel in Form oraler Kontrazeptiva sind grundsätzlich keine Arzneimittel
Leitsatz (amtlich)
Der Ausschluss empfängnisregelnder Mittel gilt auch für geistig schwer behinderte Versicherte.
Orientierungssatz
1. Nach der Rechtsprechung des BSG sind empfängnisverhütende Mittel in Form oraler Kontrazeptiva grundsätzlich keine Arzneimittel im Sinne des § 31 SGB 5. Das gilt jedenfalls dann, wenn diese Mittel bestimmungsgemäß zur Verhinderung einer unerwünschten Schwangerschaft eingenommen werden (vgl BSG vom 31.8.2000 - B 3 KR 11/98 R = BSGE 87, 95 = SozR 3-2500 § 35 Nr 1 und SG Düsseldorf vom 29.7.2009 - S 14 KA 166/07).
2. Eine verfassungskonforme bzw analoge Anwendung des § 24a Abs 2 SGB 5 mit dem Ziel, von einer Verordnungsfähigkeit auszugehen, kommt nicht in Betracht.
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die notwendigen Verfahrenskosten zu tragen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um einen Arzneikostenregress wegen der Verordnung empfängnisverhütender Mittel in den Quartalen I und II/08 in Höhe von 1.025,33 € netto.
Der Kläger ist ein eingetragener Verein. Er ist als stationäre Behindertenhilfe anerkannt und verfügt über einen eigenständigen ärztlichen Dienst.
Die AOK Hessen beanstandete unter Datum vom 24.03.2009 gegenüber der Beklagten die in einer Anlage aufgeführten Verordnungen. Bei den aufgeführten Arzneimitteln handele es sich um empfängnisverhütende Mittel. Diese könnten gemäß § 24a Abs. 2 SGB V in den aufgeführten Fällen nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnet werden, da die Verordnungen nach dem vollendeten 20. Lebensjahr ausgestellt worden seien. Dem Antrag beigefügt war eine Auflistung der beanstandeten Verordnungen in den Quartalen I und II/08, insgesamt für das Quartal I/08 27 Verordnungen in 19 Behandlungsfällen und für das Quartal II/08 19 Verordnungen in 19 Behandlungsfällen, wovon die Patienten im Quartal II/08 bis auf die Patientin D. und E. auch bereits im Quartal I/08 behandelt worden waren.
Die Klägerin trug zum Prüfantrag mit Datum vom 21.04.2009 vor, sie widerspreche der Rückforderung als unangemessen. Die beanstandeten Verordnungen von empfängnisverhütenden Mitteln beträfen Patientinnen, die nur über sehr geringe Eigenmittel verfügten und deren Einsichtsfähigkeit in die Notwendigkeit einer gesundheitsbewussten Lebensführung während der Schwangerschaft aufgrund ihrer geistigen Behinderung stark eingeschränkt sei und die überdurchschnittlich häufig Medikamente einnähmen, die eine gesunde Entwicklung des ungeborenen Lebens gefährdeten. Die AOK habe denn auch die Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit der Verordnungen seit Jahren durch Übernahme der Kosten anerkannt. Sie beantrage die weitere Kostenübernahme. Sollte dies die AOK ablehnen, sollten nur künftige Verordnungen hiervon betroffen sein. Eine rückwirkende Ablehnung halte sie mit Rücksicht auf die betroffenen Patientinnen für nicht vertretbar.
Die Beklagte setzte mit Bescheid vom 08.12.2010 den strittigen Arzneikostenregress fest. Zur Begründung führte sie aus, es handele sich um die Verordnung der Präparate Depo clinovir, Femigoa, Valette, Trigoa, Petibelle, Lamuna, Noristerat und Cerazette. In den Fällen der Verordnung für behinderte Patientinnen könne für die beanstandeten Präparate kein Ausnahmetatbestand erkannt werden. Die gesetzlichen Regelungen zur Kontrazeption würden auch für diesen Personenkreis gelten, sodass die Verordnungen für die Patientinnen, da das 20. Lebensjahr überschritten sei, zu beanstanden seien. Die Versorgung der Patientinnen aufgrund ihrer Behinderung sei aus ethischen Gründen nachvollziehbar, ein medizinischer Grund der Versorgung auf den Grundlagen des SGB V ergebe sich aber nicht.
Hiergegen hat die Klägerin am 06.01.2011 die Klage erhoben. Sie ist weiterhin der Auffassung, § 24a Abs. 2 SGB V stehe einer Verordnung nicht entgegen. Der Gesetzgeber habe nur Frauen ausschließen wollen, die aufgrund ihrer wirtschaftlichen Lage die Kosten für Verhütungsmittel selbst tragen könnten. Menschen mit Behinderungen seien den Jugendlichen gleichzustellen. § 24a Abs. 2 SGB V sei analog anzuwenden. Es komme nicht darauf an, ab auch andere Kostenträger in Betracht kämen. Eine ungewollte Schwangerschaft bei Menschen mit Behinderungen sei durchaus geeignet, extreme gesundheitliche Probleme nach sich zu ziehen.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 08.12.2010 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist der Auffassung, für eine Ausweitung des 24a Abs. 2 SGB V auf Frauen mit Intelligenzminderung über 20 Jahren bestehe aufgrund der Gesetzesbegründung kein Anlass. Eine Ausnahme sei nicht vorgesehen. Der Kläger habe nicht die Antikonzeptiva verordnet, damit diese zusammen mit einem anderen Mittel die krankheitsbekämpfende Gesamtwirkung auslösten oder zur Ve...