Entscheidungsstichwort (Thema)

Wirtschaftlichkeitsprüfung. Arzneikostenregress. Nichtvorlage der Behandlungsdokumentation im Prüf- und Gerichtsverfahren

 

Leitsatz (amtlich)

Wird eine Behandlungsdokumentation weder im Prüf- noch Gerichtsverfahren vorgelegt, so fehlt es an einer Begründung iSd § 31 Abs 1 Satz 4 SGB V und am Nachweis, dass eine Arzneimittelverordnung trotz Ausschluss im Einzelfall gerechtfertigt war.

 

Tenor

1. Die Klagen werden abgewiesen.

2. Die Klägerin hat die notwendigen Verfahrenskosten zu tragen.

3. Die Berufung wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Festsetzung eines Arzneikostenregresses für die drei Quartale II bis IV/14 wegen der Verordnung von Actos 30 mg (mit Wirkstoff Pioglitazon) in einem Behandlungsfall i. H. v. insgesamt 543,21 € (netto).

Die Klägerin ist als Fachärztin für Allgemeinmedizin mit Praxissitz in A-Stadt zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Sie nimmt an der hausärztlichen Versorgung teil.

Die Beigeladene beantragte am 14.06.2018 im Behandlungsfall der am 19.12.1959 geb. C. C. für das streitbefangene Quartal II/14 die Prüfung der Verordnungsweise und Festsetzung eines Regresses, weil für das Arzneimittel Actos 30 mg gem. Anlage III Nr. 49 der Arzneimittel-Richtlinie ein Verordnungsausschluss bestehe.

Die Beklagte übersandte der Klägerin unter Datum vom 25.06.2018 per Telefax den Prüfantrag. Sie teilte ihr ferner mit, aufgrund der späten Antragstellung sei es ihr nicht möglich, vor Ablauf der vierjährigen Ausschlussfrist eine Entscheidung zu treffen, da noch Sachverhaltsermittlungen angestellt werden müssten. Die Frist werde jedoch durch die Antragstellung seitens der Beigeladenen unterbrochen bzw. gehemmt. Dies sei nach der Auffassung des Bundessozialgerichts zumindest dann der Fall, wenn der Vertragsarzt - wie durch dieses Schreiben geschehen - über die Gründe informiert werde, die einer zügigen Entscheidung über den gestellten Prüfantrag entgegenstünden (BSG, Urt. v. 05.05.2010 - B 6 KA 5/09 R). Sie forderte zudem die Behandlungsdokumentation an.

Die Klägerin führte mit Schreiben vom 08.08.2018 aus, bei der Patientin habe sie im Juni 2013 Actos 30 abgesetzt, obwohl die Patientin angegeben habe, dies gut zu vertragen. Zur Unterstützung ihrer Argumentation habe sie sie zum Diabetologen Dr. D. geschickt, der Actos weiter empfohlen habe. Im September 2013 sei die Patientin mit schlechteren BZ-Werten trotz höherer Dosis von Metformin, aber ohne Actos-Medikation erschienen. Leider hätte sie zu diesem Zeitpunkt noch keinen Scanner gehabt, um die Aufzeichnungen der Patientin zu dokumentieren. Sie habe angegeben, höhere Dosen von Metformin und Januvia 100 (Ärztemuster !) nicht vertragen zu haben, deshalb habe sie jetzt ihre Restbestände an Actos wieder eingenommen. Die Werte hätten sich tatsächlich danach wieder gebessert. Nach erneuter Verordnung von Actos 30 seien die BZ-Werte wieder in einem tolerierbaren Bereich geblieben. Ihr sei zu diesem Zeitpunkt nicht bekannt gewesen, dass die Verordnung von der Krankenkasse hätte genehmigt werden müssen. Sowohl die Kardiologie der Uniklinik, bei der die Patientin sich im Januar 2014 wegen eines Myocardinfarkts habe behandeln lassen, als auch die Stoffwechselklinik in Lindenfels habe weiter Actos 30 verordnet. Im Dezember 2017 nach der Rückforderung habe sie die Patientin mehrmals gebeten, ihr den Sachverhalt zu bestätigen, der ihr wegen heftiger Diskussionen 2013 ihrerseits mit ihr noch erinnerlich gewesen sei, was sie hatte auch tun wollen. Dazu sei es wegen verschiedener neuen Krankheiten und OP-Planung (Schulter) nicht mehr gekommen. Leider sei die Patientin im April 2018 während eines Herzkatheters, der von den Orthopäden im Vorfeld der Schulter-OP gewünscht worden sei, verstorben. Ihr sei unverständlich, warum die Kasse solange mit der Rückforderung gewartet habe, schließlich habe sie die ganze Zeit der Apotheke die Kosten dafür erstattet. Sie hätte viel früher Gegenmaßnahmen ergreifen können, z. B. durch zusätzliche Verordnung von niedriger dosiertem Sitagliptin oder zusätzliche Gabe von Insulin.

Die Beklagte setzte mit Bescheid vom 27.09.2018, der Klägerin zugestellt am 01.10.2018, die strittige Schadensersatzpflicht für das Quartal II/14 in Höhe von 157,13 € fest. Zur Begründung verwies sie erneut auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts hin, wonach trotz der späten Antragstellung hier noch eine Festsetzung hätte ergehen können. Die Verordnung zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung sei unzulässig. Gem. Anlage III Nr. 49 AM-RL unterlägen Glitazone, insb. Pioglitazon und Rosiglitazon, zur Behandlung des Diabetes mellitus Typ 2 einem Verordnungsausschluss verschreibungspflichtiger Arzneimittel nach § 92 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 3 SGB V i. V. m. § 16 Abs. 1 und 2 AM-RL. Hierfür seien keine Ausnahmen vorgesehen. Laut Lauer-Taxe enthalte das Präparat Actos den Wirkstoff Pioglitazon. Somit sei das Präparat nicht verordnungsfähig. Der Gemeinsame Bundesausschuss habe mit Beschluss vom 17.06.2011 (Inkraft...

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