Entscheidungsstichwort (Thema)

Bewertung eines Fibromyalgie-Syndroms im Schwerbehindertenrecht - Bildung des Gesamt-GdB

 

Orientierungssatz

1. Im Schwerbehindertenrecht wird der Gesamtgrad der Behinderungen nach § 69 Abs. 3 S. 1 SGB 9 nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt.

2. Für das Fibromyalgiesyndrom sehen die VersMedV keinen eigenen Einzel-GdB vor. Dieses Krankheitsbild stellt eine Form der somatoformen Schmerzstörung dar. Am ehesten gerecht wird eine Einordnung dieser Krankheit nicht allein auf objektive Funktionseinbußen.

3. Dafür sehen die VersMedV einen GdB von 30 bis 40 vor.

4. Ein Fibromyalgiesyndrom mit noch nicht mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten ist mit einem GdB von 30 zu bewerten.

5. Bei der Bildung des Gesamt-GdB fallen Einzel-GdB-Werte von jeweils 10 nicht ins Gewicht.

 

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Streitig ist, ob der Klägerin ein Grad der Behinderung von 50 zusteht.

Die Klägerin ist 1971 geboren. Am 18.08.2012 stellte die Klägerin einen Antrag auf Feststellung eines GdB. Als Gesundheitsstörungen machte sie ein Fibromyalgiesyndrom mit multiplen vegetativen Begleitsymptomen, chronische Schmerzstörungen mit somatischen und psychischen Faktoren, einen beidseitigen Tinnitus sowie Asthma bronchiale geltend.

Mit Bescheid vom 09.11.2012 lehnte Beklagte die Feststellung eines Grades der Behinderung ab. Bei der Klägerin läge kein GdB von mindestens 20 vor. Dies sei zur Feststellung einer Behinderung notwendig.

Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein. Bei Asthma Bronchiale mit Hyperreagibilität mit häufigen und/oder schweren Anfällen - wie hier der Fall - werde üblicherweise ein Grad der Behinderung von 30-40 vorgesehen. Auch ein Tinnitus mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit führe zu einem GdB von 30 bis 40, mit schweren psychischen Störungen und sozialen Anpassungsschwierigkeiten sogar von mindestens 50. Bei Fibromyalgie empfehle die Fachliteratur bei stärkeren Einschränkungen im Alltagsleben einen GdB von 30 bis 40.

Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein, dem mit Widerspruchsbescheid vom 25.02.2013 teilweise abgeholfen und ein GdB von 30 festgestellt wurde.

Folgende Gesundheitsstörungen wurden dabei berücksichtigt:

1. Seelische Störung, Somatisierungsstörung, chronischen Schmerzsyndrom, fibromyalgisches Schmerzsyndrom - Einzel-GdB 30

2. Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, Minderbelastbarkeit - Einzel-GdB 10

3. Ohrengeräusche beidseits (Tinnitus) - Einzel-GdB 10

4. Bronchialasthma - Einzel-GdB 10

Dies wurde damit begründet, dass entsprechend der ausführlichen Befundbeschreibung ein mittelgradig chronifiziertes Schmerzsyndrom mit mulitlokulären Schmerzen im Sinne der somatoformen Schmerzstörung, einschließlich multiplen vegetativen Begleitsymptomen sowie muskulärer Dekonditionierung und Fehlhaltung bestehe. Die Schmerzstörung werde mit Chronifizierungsgrad II nach Gerbershagen angegeben, eine entsprechende Therapiepflichtigkeit werde beschrieben. Höhegradige Einschränkungen von Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit bzw. schweren psychischen Störungen bzw. sozialen Anpassungsschwierigkeiten seien nicht nachgewiesen.

Hiergegen richtet sich die Klägerin mit ihrer Klage vom 22.03.2013.

Sie begehrt die Feststellung eines GdB von 50.

Sie trägt vor, dass die Funktionsbehinderungen in Schwere und Vollständigkeit nicht ausreichend gewürdigt worden seien, insbesondere sei die Fibromyalgie-Erkrankung und die damit verbunden weitreichenden Funktionsbehinderungen höher zu bewerten, ebenso sei das Wirbelsäulenleiden zu gering bewertet. Die gegebenen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit ergäben einen GdB von 50.

Im Auftrag des Gerichts hat Dr. D. am 20.09.2014 ein Gutachten auf allgemeinärztlichem Fachgebiet erstellt.

Der Gutachter hat die Klägerin am 26.06.2014 untersucht und kommt auf der Basis der von ihm erhobenen Untersuchungsbefunde sowie der Aktenlage zu folgendem Ergebnis:

Die bei der Klägerin als Behinderungen anzusehenden Gesundheitsstörungen seien im Widerspruchsbescheid des Beklagten vollständig erfasst und mit einem Gesamt-GdB von 30 zutreffend bewertet. Das Fibromyalgiesyndrom sei unverändert mit einem Einzel-GdB von 30 zu bewerten und zusammen mit neurologisch-psychiatrischen Diagnosen einer seelischen Störung, Somatisierungsstörung, chronischen Schmerzsyndrom korrekt aufgelistet, da dies wegen der ausgeprägten Überschneidung der Symptomenkomplexe und fehlender scharfer Trennlinien klinisch nicht anders möglich sei. Eine Höherstufung wäre angesichts der gegebenen Befundlage derzeit nicht zu begründen. So sei bei der Klägerin ein in Anbetracht des Alters und der schlanken Konstitution auffallend steifer und verlangsamter Bewegungsablauf ohne feinmotorische Beeinträchtigungen festzustellen. In der Laboruntersuchung seien die Entzündungswerte sowie zwei orientierende ermittelte rheumatologische Par...

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