Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Versorgung mit Cannabisarzneimittel. „schwerwiegende Erkrankung“

 

Leitsatz (amtlich)

Zur schwerwiegenden Erkrankung im Sinne des § 31 Abs 6 SGB V.

 

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Streitig ist die Genehmigung einer Behandlung mit Cannabis.

Der im Jahre 1980 geborene Kläger beantragte am 13.07.2018 die Versorgung mit Bedrocan (Einzeldosis bis 0,5 g, Tagesdosis bis 1 g) aufgrund einer Antriebs- und Aufmerksamkeitsstörung (ICD-Diagnose F90.0), Migräne (F81.3) und Angst und depressive Störung gemischt (S 41.2). Als Behandlungsziel sei die Verbesserung der Arbeitsfähigkeit, der Lebensqualität und eine Reduktion der Kopfschmerzen und der Migräneattacken anvisiert. Die Erkrankung sei wegen Konzentrationsprobleme, innerer Unruhe, Kreisen von Gedanken, Anspannung und reduzierter Aufmerksamkeit bei depressiver Störung, Schlafstörung und Angsterkrankung schwerwiegend. Als Hintergrund wird ein erlittenes Schädel-Hirn-Trauma und anschließender epileptischer Störung mit antikonvulsiver Therapie bis 2009 angegeben. Das ADHS-Syndrom werde gerade nicht medikamentös behandelt, gegen die Cephalgie und Migräne erhalte der Kläger NSRA bzw. Triptane.

Die Standardbehandlung würde vom Kläger nicht vertragen werden. Sie habe viele Nebenwirkungen wie Antriebslosigkeit, Appetitlosigkeit und Rebound bei mangelnder Schmerzdämpfung. Es liege eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome vor, da der behandelnde Arzt Dr. D. die Behandlung mit Cannabis bereits als Selbstzahlerleistung durchführen würde.

Die Beklagte beauftragte den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) mit einer Beurteilung. Dieser verneinte das Vorliegen einer schwerwiegenden Erkrankung. Es sei auch medizinisch nicht nachvollziehbar, dass das Arzneimittel eingesetzt werden solle. In Bezug auf ADHS sei seit Jahren keine medikamentöse Therapie mehr erfolgt. Auch sei eine spezielle Schmerztherapie durch spezialisierte Schmerztherapeuten nicht dokumentiert, aber möglich. In Bezug auf die psychischen Erkrankungen sei ein Psychotherapiezyklus zuletzt im Jahre 2011 durchgeführt worden. Eine Psychotherapie sei vorrangig.

Aufgrund dieser Einschätzung wurde der Antrag mit Bescheid vom 26.07.2018 abgelehnt. Eine Kostenübernahme für Bedrocan sowie einen gegebenenfalls erforderlichen Verdampfer sei nicht möglich.

Hiergegen richtet sich der Widerspruch vom 26.09.2018 durch den behandelnden Privatarzt Dr. D.. Eine schwerwiegende Erkrankung würde vorliegen. Es sei eine mehrjährige Behandlung mit Ritalin und Citalopram durchgeführt worden. Diese sei aber nicht zielführend gewesen. Der Teilnahme des Klägers an einer anonymisierten Begleitforschung stehe nichts entgegen. Die Durchführung einer speziellen multimodalen Schmerztherapie sei nicht ausreichend, zumal diese in Teilen bereits im Vorfeld erfolglos versucht worden sei. Es gelte die Arbeitsfähigkeit und die Gesundheit des Klägers zu erhalten. Eine weitere ambulante Psychotherapie sei derzeit nicht erforderlich. Der beantragte Behandlungsversuch, der temporär ausgelegt sei, sei eine sinnvolle und alternativlose Maßnahme.

Der Kläger ergänzte die Stellungnahme des behandelnden Arztes am 01.10.2018. Er leide seit seiner Kindheit an ADHS. Die Krankheit sei allgegenwärtig und er habe große Schwierigkeiten, seinen Alltag ohne permanente Beeinträchtigung zu meistern. Eine Medikation sei mit Ritalin über viele Jahre erfolgt. Während der Behandlung habe sich ein hoher Grad an Aggressivität gezeigt, sodass sich der tägliche Umgang mit den Mitmenschen als sehr problembehaftet erwiesen habe. Auch eine Behandlung mit Citalopram und eine ambulante Psychotherapie hätten zu keinem Erfolg geführt. Aktuell sei er mit Cannabis versorgt und das Krankheitsbild habe sich wesentlich verändert. Die körperlichen und psychischen Auswirkungen von ADHS würden durch Cannabis erheblich gelindert werden, ohne dass Nebenwirkungen wie Aggressivität den normalen Umgang im Alltag belasten würden. Seine Lebensqualität habe sich dadurch verbessert.

Der Antrag auf Versorgung mit Cannabis sei durch die Hausärztin erfolgt, da Dr. D. keine kassenärztliche Zulassung habe.

Die Beklagte fasste die Widerspruchsbegründung des Klägers als erneuten Antrag auf und beschied diesen ablehnend am 25.10.2018. Eine erneut eingeholte Stellungnahme des MDK Bayern vom 22.10.2018 führte zu keiner anderen Einschätzung: Eine schwerwiegende Erkrankung sei nicht ausreichend erkennbar. ADHS werde derzeit offenbar nicht therapiert. Eine Alternativlosigkeit der Behandlung mit Cannabinoiden sei nicht erkennbar.

Am 19.01.2019 wurde seitens Dr. D. eine weitere Stellungnahme vorgelegt. Eine Behandlung mit zugelassenen Arzneimitteln sei nicht möglich, da die medikamentöse Behandlung von ADHS zu vermehrten Migräneattacken geführt habe. Die Ausübung der beruflichen Tätigkeit sei in diesen Zeiten ni...

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