Leitsatz (amtlich)

I. Bei einem Wechsel von einer Vollrente in die Teilrente nur mit dem Ziel, über die Familienversicherung in die freiwillige Krankenversicherung zu gelangen, ist das Gesamteinkommen im Sinne von § 10 Abs. 1 Nr. 5 SGB V prospektiv auf das durchschnittliche monatliche Einkommen des Veranlagungsjahrs, in dem der Wechsel von der Vollrente in die Teilrente vollzogen wird, zu bestimmen.

II. Ein Wechsel von einer Vollrente in die Teilrente nur mit dem Ziel, über die Familienversicherung in die freiwillige Krankenversicherung zu gelangen, ist nach § 46 Abs. 2 SGB I in analoger Anwendung für die Krankenversicherung unbeachtlich.

 

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin seit dem 01.07.2021 bei der Beklagten über ihren Ehemann in der gesetzlichen Krankenversicherung familienversichert war.

Die im Jahre 1951 geborene Klägerin ist seit dem 10.07.1992 mit dem bei der Beklagten gesetzlich versicherten Mitglied B2. verheiratet. Die Klägerin war seit dem 01.07.1987 und bis zum 30.06.2021 bei der DKV privat krankenversichert. Sie bezieht seit dem 01.10.2012 Altersrente für Frauen.

Die Klägerin beantragte am 17.03.2021 die Reduzierung ihrer Vollrente auf eine 15%-ige Teilrente nach § 42 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI). Laut Rentenbescheid der Deutschen Rentenversicherung Bayern Süd vom 25.06.2021 wurde die bisherige Altersrente für Frauen ab dem 01.07.2021 neu berechnet. Ab dem 01.07.2021 werde die "gewählte Teilrente" gezahlt in Höhe von monatlich 292,24 € zuzüglich eines Zuschusses zum Krankenversicherungsbeitrag in Höhe von 23,24 €, insgesamt 315,48 €.

Am 29.06.2021 beantragte der Ehegatte der Klägerin als Stammversicherter mit Zustimmung der Klägerin die Einbeziehung der Klägerin in die beitragsfreie Familienversicherung mit Wirkung ab dem 01.07.2021. Als Einkommen der Klägerin wurden die gesetzliche Rente in Höhe von 292,24 € sowie monatliche Kapitalerträge in Höhe von 146 € angegeben.

Die Beklagte erkundigte sich beim Ehegatten der Klägerin, aus welchen Gründen sich die Klägerin für die Wahl einer Teilrente entschieden habe. Hierauf antwortete der Ehegatte der Klägerin mit Schreiben vom 07.07.2021, er habe eine Teilrente aus privaten Gründen beantragt. Darüber hinaus sehe § 42 SGB VI keine Begründung für die Beantragung einer Teilrente vor.

Aus dem Einkommensteuerbescheid des Finanzamts E-Stadt für das Jahr 2019 vom 23.07.2020 ergibt sich, dass die Klägerin im Jahr 2019 Einkünfte aus Kapitalerträge in Höhe von 1.759 € sowie aus Vollrente in Höhe von 15.230 jährlich hatte.

Mit Bescheid vom 09.11.2021 wurde der Antrag abgelehnt, da eine unzulässige Rechtsausübung vorliegen würde.

Auf Nachfrage der Beklagten im Widerspruchsverfahren teilte die Klägerin mit, dass der Wechsel zur Vollrente zum 01.12.2023 geplant ist. Mit Rentenbescheid vom 17.02.2022 wurde sodann wieder eine Vollrente in Höhe von 1.995,97 € plus 158,68 Zuschuss zum KV-Beitrag monatlich mit Wirkung ab dem 01.12.2021 bewilligt.

Mit Widerspruchsbegründung vom 27.01.2022 ließ die Klägerin ausführen, dass ein Verstoß gegen § 46 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) erst dann gegeben sei, wenn durch den Verzicht eine vom Gesetz gewollte Lastenverteilung zwischen den Leistungsträgern abgeändert würde. Stelle ein anderer Leistungsträger fest, dass der Anspruch wegen Verzichts entfalle, so habe dies Tatbestandswirkung. Die Drittbindungswirkung aus dem Verwaltungsakt der Rentenversicherung über die Teilrente sei von der Beklagten hinzunehmen. Die Teilrente würde keinen Verzicht im Sinne von § 46 Abs. 1 SGB I darstellen. Die Klägerin beziehe eine Teilrente unterhalb der Einkommensgrenze von § 10 Abs. 1 Nr. 5 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V). Auch die weiteren Voraussetzungen von § 10 Abs. 1 Nr. 1 bis Nr. 4 SGB V würden von der Klägerin erfüllt. Im Hinblick auf die Drittbindungswirkung des Rentenbescheids scheide der Einwand aus § 46 Abs. 2 SGB I aus.

Mit Widerspruchsbescheid vom 12.07.2022 wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Die Beklagte beruft sich auf § 46 Abs. 2 SGB I. Bei Bezug einer Teilrente bestehe die Möglichkeit, durch Entrichtung weiterer Beiträge eine spätere Rentensteigerung zu erreichen. Die Klägerin habe indes keine (auf den Gesetzeszweck der Flexirente bezogen) nachvollziehbare Gründe, weshalb sie eine Teilrente nach Vollendung des 70. Lebensjahres beziehen wolle. Der Gesetzgeber habe mit dem Flexirentengesetz dem Facharbeitermangel entgegenwirken und älteren Arbeitnehmern die Möglichkeit eröffnen wollen, auch nach Erreichen der Altersgrenze zu arbeiten und Rentenbeiträge zu entrichten. Die Absenkung der Rentenhöhe in Form des Bezugs einer Teilrente mit dem Ziel, über die Familienversicherung eine Anschlussversicherung in der freiwilligen Krankenversicherung (§ 188 Abs. 4 SGB V) zu erreichen, würde einen Missbrauch von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten darstellen. Zudem stelle das Einkommen aus Altersren...

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