Entscheidungsstichwort (Thema)
Asylbewerberleistung. Grundleistung. Anspruchseinschränkung. Nichtvollziehbarkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen. fehlende Mitwirkung bei der Passbeschaffung. Vertretenmüssen. Unmöglichkeit der Erbringung von Mitwirkungshandlungen aufgrund der Corona-Pandemie
Orientierungssatz
Durch den Ausbruch der sogenannten Corona-Pandemie und die damit verbundenen Einschränkungen sind die Handlungsoptionen von Asylbewerbern seit dem 13.3.2020 eingeschränkt. Sie sind angehalten, ihre Unterkunft nicht zu verlassen. Das öffentliche Leben ist erheblich eingeschränkt, teils sogar vollständig zum Erliegen gekommen. Bis auf weiteres ist es Asylbewerbern unmöglich, die nötigen Mitwirkungshandlungen zu erbringen, so dass diese vorerst nicht von ihnen gefordert werden können.
Tenor
1. Der Antragsgegner wird verpflichtet, dem Antragsteller ab dem 13. März 2020 bis zum 31. Mai 2020 vorläufig ungekürzte Leistungen nach § 3 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) zu gewähren. Im Übrigen wird der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz abgelehnt.
2. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
3. Dem Antragsteller wird für das Verfahren vor dem Sozialgericht Neuruppin Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwältin Anja Lederer, Hessische Straße 11, 10115 Berlin beigeordnet. Ratenzahlungen sind nicht zu leisten.
Gründe
I. Der Antragsteller, der gesetzlich ausreisepflichtig ist, begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung, ihm vorläufig ungekürzte Leistungen nach § 3 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) zu gewähren.
Der Antragsteller reiste nach eigenen Angaben im Oktober 2014 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte einen Antrag auf die Anerkennung als Asylberechtigter. Bei der Anhörung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) gab er an, Staatsangehöriger Kameruns zu sein, Nachweise zu seinen Personalien legte er nicht vor. Im Januar 2018 lehnte das BAMF mit bestandskräftig gewordenem Bescheid den Asylantrag des Antragstellers ab, forderte ihn zur Ausreise aus dem Bundesgebiet auf und drohte seine Abschiebung in die Republik Kamerun an. Mangels Vorliegen eines gültigen Heimreisedokuments ist die Abschiebung derzeit nach § 60a Abs. 2 S. 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) ausgesetzt.
Nach Aktenlage wurde der Antragsteller mehrfach schriftlich und mündlich aufgefordert, sich um einen Reisepass bzw. ein Heimreisedokument oder sonstige Identifikationsdokumente zu bemühen, und dabei auch auf die mögliche Rechtsfolge „Leistungskürzung“ bei Verweigerung der Mitwirkung hingewiesen (vgl. etwa Schreiben vom 30. Oktober 2018, Bl. 202 der Ausländerakte). Zuletzt wurde er mit Schreiben vom 7. Februar 2020 aufgefordert, dem Antragsgegner ein Dokument zur Bestätigung seiner Identität vorzulegen (z.B. Reisepass, Geburtsurkunde, ID-Karte, Heiratsurkunde, Führerschein). Für den Fall, dass er diese Dokumente nicht habe, sei er verpflichtet, sich an die Botschaft oder sich an Verwandte, Bekannte oder andere Personen (Rechtsanwälte) in seinem Heimatland zu wenden. Er wurde darüber belehrt, dass die Einleitung eines Strafverfahrens nach dem AufenthG vorbehalten werde, wenn er seinen sich aus dem AufenthG ergebenden Pflichten nicht bis zum 21. Februar 2020 nachkomme.
Seit November 2014 gewährt der Antragsgegner dem Antragsteller Leistungen nach dem AsylbLG. Dabei gewährte er für die Zeit Oktober 2018 bis März 2019 und sodann im Folgezeitraum April 2019 bis September 2019 ausschließlich Leistungen zur Deckung des Bedarfs an Ernährung und Unterkunft einschließlich Heizung sowie Körper- und Gesundheitspflege („gekürzte Leistungen“) nach § 1a Abs. 3 AsylbLG unter Bezugnahme auf mangelnde Mitwirkung des Antragstellers bei der Passbeschaffung. Diesbezüglich ist beim Sozialgericht Neuruppin ein Hauptsacheverfahren anhängig (S 27 AY 6/19). Für die Zeit Oktober 2019 bis Februar 2020 gewährte der Antragsgegner ungekürzte Leistungen nach § 3 AsylbLG.
Mit Schreiben vom 21. Februar 2020 kündigte der Antragsgegner an, mangels Nachweises ausreichender Bemühungen des Antragstellers zur Erlangung von Dokumenten zukünftig gekürzte Leistungen nach § 1a Abs. 3 AsylbLG zu gewähren und forderte den Antragsteller auf, Stellung zu nehmen, weshalb er die benötigten Dokumente nicht zur gesetzten Frist des 21. Februar 2020 beigebracht habe. Mit Schreiben vom 18. und 27. Februar 2020, die der Antragsteller beide am 2. März 2020 persönlich beim Antragsgegner vorlegte, teilte er mit, dass er am 17. Februar 2020 bei der Botschaft von Kamerun erfolglos vorgesprochen habe und legte ein Bestätigungsschreiben der Botschaft vor. Da er in Kamerun keine Familienangehörigen habe, sei es für ihn schwer, Identitätspapiere zu besorgen, und auch zu sogenannten Vertrauensanwälten habe weder er noch seine Bekannten in Deutschland Kontakt.
Mit Bescheid vom 3. März 2020 gewährte der Antragsgegner dem Antragsteller daraufhin für die Zeit März 2020 bis August 2020 gekürzte Leistungen nach § 1a Abs. 3 AsylbLG.
Mit seinem am 11. März 2020 bei dem Sozialgericht Neur...