Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Kostenentscheidung nach Erledigung der Hauptsache. Kostentragungspflicht. Ermessen. Anlass der Klageerhebung. Veranlassungsprinzip. Kausalität. Recht auf Akteneinsichtnahme. Verweigerung des Übersendens der Verwaltungsakte im Vorverfahren an den bevollmächtigten Rechtsanwalt
Leitsatz (amtlich)
1. Die Regelung des § 84a SGG soll sicherstellen, dass im Vorverfahren - genauso wie im Gerichtsverfahren - Akteneinsicht durch zugelassene Prozessvertreter regelmäßig durch Übersendung der Akten zu gewähren ist, soweit keine besonderen Gründe entgegenstehen.
2. Ein besonderer Grund liegt regelmäßig nicht in der mit der Aktenübersendung verbundenen verzögerten Widerspruchsbearbeitung und der damit aus Sicht der Behörde befürchteten Gefahr der Erhebung einer Untätigkeitsklage (§ 88 Abs 2 SGG), da der Akteneinsicht Begehrende mit seinem Antrag auf Aktenübersendung zu erkennen gegeben hat, dass er eine mögliche Verzögerung als nachrangig ansieht.
3. Verstößt eine Behörde dagegen, kann dies bei einem nachfolgenden Klageverfahren im Rahmen der Kostenentscheidung nach § 193 SGG unter dem Gesichtspunkt des "Veranlassungsprinzips" zu Lasten der Behörde gewertet werden.
4. Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass die Klage nach erfolgter Akteneinsichtnahme zeitnah zurück genommen wurde, weil sich der Kläger nunmehr von der Rechtmäßigkeit der Widerspruchsentscheidung überzeugen konnte. Wird stattdessen die Klage zunächst fortgeführt, so hat der Kläger zu erkennen gegeben, dass die während des Widerspruchsverfahrens zu Unrecht versagte Aktenübersendung nicht Anlass der Klageerhebung gewesen ist.
Tenor
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Gründe
I.
In der Hauptsache stritten die Beteiligten hinsichtlich der Überprüfung von abgelehnten Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit vom 1.9. 2009 bis 28. 2. 2010. Nachdem die Beklagte den entsprechenden Überprüfungsantrag vom 5. 2. 2010 mit dem Bescheid vom 9. 4. 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.6. 2010 abgewiesen hatte, hatten die Kläger am 16. Juli 2010 Klage erhoben, verbunden mit folgenden Anträgen:
1. Akteneinsicht in die bei der Beklagten über den Kläger geführten Leistungsakten zu gewähren,
2. die Beklagte zu verurteilen, die Ablehnungsentscheidung vom 18.08.2009 in der Fassung des Überprüfungsbescheides vom 09.04.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.06.2010 (W 3245/10) insoweit abzuändern, dass den Klägern Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe bewilligt werden,
3. den Widerspruchsbescheid vom 22.06.2010 (W 3245/10) dahingehend abzuändern, dass die Beklagte verpflichtet wird, die notwendigen Aufwendungen im Widerspruchsverfahren zu tragen und die Hinzuziehung des Bevollmächtigten für notwendig erachtet wird,
4. die Beklagte zu verurteilen, die außergerichtlichen Kosten der Kläger zu tragen.
Nachdem der Prozessbevollmächtigte der Kläger Akteneinsicht genommen und der Beklagten Einkommensnachweise für die Zeit bis zum 31.1. 2010 übersandt hatte und die Beklagte hierauf erwidert hatte, dass sich auch aufgrund der vorgelegten Unterlagen kein Leistungsanspruch der Kläger ergeben würde, haben die Kläger die Hauptsache für erledigt erklärt und zugleich Antrag auf vollständige Kostenerstattung durch die Beklagte gestellt. Die Beklagte hätte Veranlassung zur Klage gegeben, da nur im Rahmen des Klageverfahrens von den Klägern nach erfolgter Akteneinsicht habe sicher beurteilt werden können, ob die streitgegenständlichen Bescheide rechtswidrig gewesen wären oder nicht. Die Akteneinsicht sei den Klägern zuvor rechtswidrig im Widerspruchsverfahren versagt worden.
Die Beklagte vertritt demgegenüber die Auffassung, dass sie im Rahmen ihres Ermessens von der Übersendung der Leistungsakten in Anbetracht der nahezu regelmäßig eingehenden Widersprüche durch den Klägerbevollmächtigten abgesehen habe, da nur so eine zeitnahe Widerspruchsbearbeitung und damit die Vermeidung von Untätigkeitsklagen gewährleistet werden könne. Sofern sich der Bevollmächtigte um eine Terminvereinbarung bemühen würde, könne ohne Umstände in den Räumen der Beklagten Einsicht in die Verwaltungsakten genommen werden. Hierauf sei im Rahmen der Eingangsbestätigung im Widerspruchsverfahren auch hingewiesen worden.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten und die beigezogenen Verwaltungsakten verwiesen.
II.
Endet - wie im vorliegenden Fall - ein Gerichtsverfahren nicht durch Urteil, ist durch Beschluss darüber zu entscheiden, ob und in welchem Umfang Kosten zu erstatten sind (§ 193 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG -). Über die Maßstäbe, nach denen das Gericht die Kostenverteilung im Einzelfall vorzunehmen hat, sagt das Gesetz zwar nichts. Es entspricht jedoch herrschender Auffassung (vergleiche BSG SozR § 193 Nr. 3 und 4), dass die außergerichtlichen Kosten nach sachgemäßem Ermessen aufzuteilen sind...