Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Feststellungsklage. Feststellungsinteresse. Grundsicherung für Arbeitsuchende. Einkommensberücksichtigung. Rechtswidrigkeit der Aufforderung zur Vorlage des Vordrucks für die Bescheinigung des Arbeitsentgelts beim Arbeitgeber. Sozialdatenschutz. unbefugte Datenverarbeitung. Erforderlichkeit zur Aufgabenerfüllung. Rechtmäßigkeit des Vordrucks
Leitsatz (amtlich)
1. Die Verpflichtung aus § 58 Abs 2 SGB II, dem Arbeitgeber den für die Bescheinigung des Arbeitsentgelts vorgeschriebenen Vordruck unverzüglich vorzulegen, steht unter dem Vorbehalt des datenschutzrechtlichen Erforderlichkeits- und Zweckbindungsbegriffs.
2. Das von der Bundesagentur für Arbeit herausgegebene Formular "Einkommensbescheinigung - Nachweis der Höhe des Arbeitsentgelts -", Stand 04/2018, ist nicht zu beanstanden.
Orientierungssatz
Zum Vorliegen eines Feststellungsinteresses im Sinne des § 55 Abs 1 SGG wegen der spezifischen Grundrechtsrelevanz des Verwaltungshandelns.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Tatbestand
Mit ihrer Klage wendet sich die Klägerin gegen die Art, die Weise und den Umfang von Datenerhebungen und Nachweispflichten während ihrer Erwerbstätigkeit während des Bezugs von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) und nimmt dazu das Jobcenter (Beklagter) und die Bundesagentur für Arbeit (BA, Beklagte) in Anspruch.
Die Klägerin stand beim beklagten Jobcenter im Leistungsbezug. Mit Schreiben vom 3. Juni 2018 teilte sie ihm mit: Sie habe am 2. Mai 2018 einen „Mini-Job“ (Arbeitszeit 13,5 Stunden/Woche, Bruttolohn 9,55 €/Stunde) aufgenommen. Sie werde ihm ihre Lohnabrechnungen nach Eingang bei ihr zukommen lassen. Eine Einkommensbescheinigung werde sie ihrem Arbeitgeber nicht übergeben, da der Nachweis des Einkommens mittels Lohnabrechnung für den Beklagten ausreichend sei, der Arbeitgeber jedoch nicht über ihren Bezug von Leistungen nach dem SGB II informiert sein müsse. Unter Verweis auf § 35 Erstes Buch Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil - (SGB I) untersage sie die Ausforschung ihres Arbeitgebers. Hierauf forderte der Beklagte die Klägerin mit Schreiben vom 6. Juni 2018 und Erinnerung vom 29. Juni 2018 unter Fristsetzung bis zum 22. Juni bzw. 16. Juli 2018 auf, die Anlage EK, den Lohnschein Mai 2018 mit Nachweis des Zuflusses der ersten Lohnzahlung und monatlich laufend nach Erhalt weitere Lohnscheine ab Juni 2018 einzureichen. Am 29. Juni 2018 ging beim Beklagten eine Veränderungsmitteilung der Klägerin ein, mit der sie die Angaben vom 3. Juni 2018 teilweise wiederholte. Am 25. Oktober 2018 gingen teilgeschwärzte Entgeltabrechnungen für Mai bis September 2018 ein, aus denen sich lediglich das Datum, der Abrechnungsmonat sowie der Auszahlungsbetrag ergaben. Auf Seite (S.) 140 fortfolgende (ff.) des Ausdrucks der elektronischen Akte des Beklagten (E-Akte) wird verwiesen.
Mit Schreiben vom 30. Oktober 2018 forderte der Beklagte die Klägerin auf, bis zum 10. Dezember 2018 die Einkommensbescheinigungen von Mai bis November 2018 nach Erhalt zur endgültigen Festsetzung der Leistungen im Bewilligungsabschnitt vorzulegen. Dabei führte er aus: Die Bescheinigungen müssten den Beginn des Arbeitsvertrags, den Brutto- und Nettolohn und den Arbeitgeber ausweisen, damit Prüfungen zur Gewährung der Freibeträge, der Einhaltung des Mindestlohngesetzes (MiLoG) und der Datenabgleich mit dem Rentenversicherungsträger durchgeführt werden könnten.
Mit Schreiben vom 11. November 2018 teilte die Klägerin dem Beklagten mit: Der Beginn des Arbeitsvertrags sei bereits im Mai 2018 durch Vorlage des Arbeitsvertrags zur Einsichtnahme nachgewiesen worden. Die Verwendung des Formulars sei nicht erforderlich, da das Zuflusseinkommen auch durch Vorlage von Nachweisen (z.B. Lohnabrechnungen) nachgewiesen werden könne. Eine Übermittlung ihres ergänzenden Bezugs von Leistungen nach dem SGB II an etwaige Arbeitgeber gehöre nicht zu ihren Mitwirkungspflichten. Dass der Mindestlohn gezahlt werde, ergebe sich schon aus dem zur Einsichtnahme vorgelegten Arbeitsvertrag. Zudem unterliege eine Prüfung ihrer Verantwortung, da sie weder geschäftsunfähig noch Mündel des Beklagten sei. Sofern etwaige Freibeträge seitens des Arbeitgebers berücksichtigt werden müssten, aber nicht berücksichtigt worden seien, obliege ihr und nicht dem Beklagten die Durchsetzung. Eine genaue Bezeichnung des Arbeitgebers werde sie nicht geben. Wegen des weiteren Inhalts des Schreibens wird auf Blatt (Bl.) 7 der Gerichtsakte verwiesen.
Mit Schreiben vom 17. Dezember 2018 erinnerte der Beklagte an die Aufforderung zur Mitwirkung vom 30. Oktober 2018 und fügte sieben Formulare „Einkommensbescheinigung - Nachweis der Höhe des Arbeitsentgelts -“ bei. Wegen des Inhalts des Formulars wird auf Bl. 9 der Gerichtsakte verwiesen.
Mit Schreiben an den Beklagten vom 2. Januar 2019 nahm die Klägerin auf das Schreiben...