Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld II. Unterkunft und Heizung. Sonderregelung aus Anlass der COVID-19-Pandemie. Angemessenheitsfiktion. Anwendungsbereich. keine Beschränkung auf sechs Monate
Leitsatz (amtlich)
Die sechsmonatige Befristung der Fiktion der Angemessenheit der tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung in § 67 Abs 3 S 1 SGB II läuft in dem durch § 67 Abs 1 und 5 SGB II iVm § 1 VZVV (juris: VZVV 2022) bestimmten Geltungszeitraum nicht ab.
Tenor
Unter Abänderung des Bescheids vom 13. September 2021 in Gestalt des Änderungsbescheids vom 27. November 2021, des Widerspruchsbescheids vom 2. Dezember 2021, des Änderungsbescheids vom 16. Mai 2022 und des Bescheids über die endgültige Festsetzung vom 3. Februar 2023, soweit der Monat September 2022 betroffen ist, wird der Beklagte verurteilt, der Klägerin Arbeitslosengeld II für den Zeitraum Januar bis September 2022 unter Berücksichtigung von Kosten der Unterkunft in Höhe von 371,80 € zu gewähren. Der Aufhebungsbescheid vom 23. August 2022 wird insoweit aufgehoben.
Der Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu tragen.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Übernahme höherer Kosten der Unterkunft (KdU) im Rahmen der Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) hinsichtlich der Monate Januar bis September 2022 streitig.
Die 1977 geborene Klägerin bezog zuletzt bis 31. Dezember 2019 Arbeitslosengeld (Alg) II und war sodann aufgrund einer auskömmlichen Erwerbstätigkeit nicht bedürftig. Am 1. März 2020 verzog sie in eine 62,45 Quadratmeter (qm) große Mietwohnung, die unter der im Rubrum ersichtlichen Anschrift in einem 574,32 qm großen Gebäude belegen ist. Für diese hatte sie zunächst monatlich 380 € Grundmiete, 65 € Betriebskosten und 65 € Kosten für die zentrale Gasheizung mit Wassererwärmung aufzuwenden, mithin insgesamt 510 €. Über nennenswertes Vermögen verfügte sie nicht.
Nach Eintritt in Kurzarbeit stellte die Klägerin beim Beklagten im April 2020 einen Leistungsantrag, auf den er mit vorläufigem Bescheid vom 28. April 2020 für den Zeitraum vom 1. April bis zum 30. September 2020 sowie auf Weiterbewilligungsanträge vom 27. August 2020 mit vorläufigem Bescheid vom 2. September 2020 für den Zeitraum vom 1. Oktober 2020 bis zum 31. März 2021 Leistungen unter Berücksichtigung der vollen Kosten der Unterkunft und Heizung (KdUH) bewilligte.
Mit Schreiben vom 2. September 2020 hörte der Beklagte die Klägerin wegen einer Überschreitung der Angemessenheitswerte für die KdUH um 186,90 € an. Hierauf äußerte die Klägerin mit Schreiben vom 16. September 2020: Sie sei umgezogen, als sie einen Vollzeitjob gehabt habe und sich die Wohnung habe leisten können. Dann sei Covid-19 gekommen, weshalb sie in Kurzarbeit gemusst habe. Nunmehr müsse sie sich einer Rücken-OP unterziehen und rutsche ins Krankengeld. Wenn sie wieder genesen und Covid-19 vorbei sei, gehe sie wieder zurück in ihre Firma und werde ihre Miete wieder selbst erwirtschaften. Die Hilfe vom Beklagten sei daher nur vorübergehend.
Auf einen Weiterbewilligungsantrag vom 24. Februar 2021 bewilligte der Beklagte mit vorläufigen Bescheid vom 26. Februar 2021 Leistungen für den Zeitraum vom 1. April bis zum 30. September 2021 wieder unter Berücksichtigung der vollen KdUH. Mit Schreiben vom selben Tag hörte er sie wegen einer Überschreitung der Angemessenheitswerte für die KdUH um 1,10 €/qm beziehungsweise 183,10 € an. Hierauf äußerte sich die Klägerin mit Schreiben vom 3. März 2021 im Wesentlichen wie zuvor. Mit Schreiben vom 9. Juni 2021 teilte der Beklagte ihr mit, ab 1. Januar 2022 lediglich die angemessenen Aufwendungen für Kaltmiete und Betriebskosten bzw. Heizkosten zu übernehmen und gab erneut Gelegenheit zur Stellungnahme.
Mit Bescheid vom 30. Juli 2021 bewilligte die Bundesagentur für Arbeit der Klägerin Alg für den Zeitraum vom 24. Juni 2021 bis 23. Juni 2022 in Höhe (i.H.v.) von 24,40 € kalendertäglich, mithin i.H.v. 732 € monatlich.
Am 7. September 2021 stellte die Klägerin einen Weiterbewilligungsantrag nach dem SGB II. Hierauf bewilligte der Beklagte mit Bescheid vom 13. September 2021 Leistungen für den Zeitraum vom 1. Oktober 2021 bis zum 30. September 2022, wobei auf den streitgegenständlichen Zeitraum monatlich 69,80 € für Januar bis Mai, 240,60 € für Juni und 771,80 € für Juli bis September 2022 entfielen. Dabei berücksichtigte der Beklagte 196,90 € Grundmiete, 63,90 € Heizkosten und 65 € Betriebskosten. Wegen des weiteren Inhalts des Bescheids wird auf die Seiten (S.) 54 fortfolgende (ff.) des Ausdrucks der elektronischen Akte des Beklagten (E-Akte), Teil 6, verwiesen.
Hiergegen erhob die Klägerin am 1. Oktober 2021 Widerspruch. Zur Begründung führte sie aus, die Unterkunftsrichtlinie des U-Kreises sei nicht in Ansatz zu bringen, da sie auf keinem schlüssigen Konzept beruhe. Daher seien die Maximalwerte der Anlage 1 zu § 12 Wohngeldgesetz (WoGG) zuzüglich (zzgl.) ein...