Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Leistungspflicht. Therapiestuhl für ein behindertes Kind zum Besuch einer integrativen Kindertageseinrichtung
Orientierungssatz
Die Zweitversorgung eines zweijährigen behinderten Kindes mit einem Therapiestuhl zum Besuch einer integrativen Kindertageseinrichtung durch den gesetzlichen Krankenversicherungsträger ist im Hinblick auf das kindliche Grundbedürfnis der Förderung der Schulfähigkeit und Integration in die Gruppe gleichaltriger Kinder erforderlich. Es besteht die besondere Notwendigkeit, durch die frühe Förderung Defizite zu mildern und Chancen auf eine angemessene Bildung durch eine Förderung so früh wie möglich zu erhöhen.
Tenor
I. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger die diesem angefallenen Kosten für die Beschaffung des Therapiestuhls M. inklusive Zubehör in Höhe von 3.062,08 € zu erstatten.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 3.062,08 € festgesetzt.
IV. Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Erstattung der Kosten für die Beschaffung des Therapiestuhls "M." inklusive Zubehör in Höhe von 3.062,08 € für die bei der Beklagten Versicherte C. (E.G.) streitig.
Unter Vorlage einer ärztlichen Verordnung der Ärzte für Kinder- und Jugendmedizin Dres. G. vom 02.12.2015 und eines Kostenvoranschlags der Firma P. vom 08.12.2015 wurde für die 2013 geborene Versicherte E.G. die Versorgung mit dem Therapiestuhl "M." inklusive Zubehör bei der Beklagten am 09.12.2015 beantragt. Mit Schreiben vom 15.12.2015 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass dieser für die beantragte Leistung der zuständige Träger sei, da der Stuhl für die Kinderkrippe benötigt werde und die Versicherte E.G. unter drei Jahre sei. Laut dem Urteil des BSG ≪ gemeint ist wohl BSG, Urteil vom 03.11.2011, B 3 KR 8/11 R ≫ sei eine Kostenübernahme durch die gesetzliche Krankenversicherung für gehbehinderte Kinder im Alter zwischen drei und sechs Jahren möglich. Deshalb werde der Antrag gemäß § 14 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) an den Kläger weitergeleitet. Mit Schreiben vom 09.02.2016 bat der Kläger die Beklagte, in eigener Zuständigkeit über den Antrag auf Zweitversorgung "Therapiestuhl" für die Kindertagesstätte zu entscheiden. Die Altersbegrenzung auf Zweitversorgung könne vor dem Hintergrund eines Rechtsanspruchs auf einen Kindertagesstättenplatz nicht nachvollzogen werden. Seit dem 01.08.2013 hätten Kinder schon ab Vollendung des ersten Lebensjahres bis zum dritten Lebensjahr einen einklagbaren Rechtsanspruch auf frühkindliche Förderung in einer Tageseinrichtung oder in der Kindertagespflege.
Hierauf erwiderte die Beklagte mit Schreiben vom 18.03.2016, dass nach Auffassung des A. trotz der Änderung des KiföG zum 01.08.2013 und der damit verbundenen Absenkung der Altersgrenze auf unter drei Jahre eben diese Absenkung nicht auf den Hilfsmittelanspruch für Doppelversorgungen in einer Tageseinrichtung oder in einer Kindertagespflege übertragbar sei.
Mit Schreiben vom 30.03.2016 teilte der Kläger der Beklagten mit, dass die Kostenübernahme für die Beschaffung des o. g. Hilfsmittels inzwischen gegenüber den Eltern der Leistungsberechtigten gemäß § 14 SGB IX i.V.m. § 33 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) zugesichert worden sei. Es werde gemäß § 14 Abs. 4 S. 1 SGB IX Kostenerstattung beantragt. Der Besuch der Kinderkrippe sei als Hinführung auf die Schulfähigkeit durch die Bildungs-, Erziehungs- und Förderarbeit als allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens zu sehen. Dies könne gleichgesetzt werden mit der Hilfe zur Erfüllung der bestehenden Schulpflicht. Im vorliegenden Fall handele es sich eindeutig nicht um einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens. Der Therapiestuhl sei der Versicherten zum Ausgleich der bestehenden Behinderung (Wolf-Hirschhorn-Syndrom) von dem behandelnden Arzt verordnet worden. Zwar sei bereits ein Therapiestuhl für das häusliche Umfeld von der Beklagten bewilligt worden. Aufgrund der Maße (ca. 52 cm x ca. 58 cm x ca. 71 cm) und des Gewichts (ca. 90 kg) des bereits vorhandenen Therapiestuhls sei ein wochentäglicher Transport des Hilfsmittels in die Kindertageseinrichtung als unzumutbar zu betrachten.
Unter Vorlage der Rechnung der Firma P. vom 27.05.2016 bezüglich der Versorgung mit einem Therapiestuhl vom 09.05.2016 bat der Kläger die Beklagte erneut um Überprüfung der Entscheidung (Schreiben vom 29.08.2016). Mit Schreiben vom 31.08.2016 hielt die Beklagte an ihrer bisherigen Auffassung fest; der Kläger forderte die Beklagte mit Schreiben vom 15.02.2017 erneut auf, die angefallenen Kosten zu erstatten.
Am 24.05.2017 hat der Kläger zum Sozialgericht Nürnberg (SG) Klage erhoben und trägt mit Schreiben vom 11.05.2017 und 11.07.2017 über sein bisheriges Vorbringen hinaus zur Klagebegründung insbesondere vor, dass aufgrund der für die Versicherte E.G. gestellten Diagnosen diese unstreitig zum Personenkreis nach § 53 Abs. 1 SGB XII gehöre. Daher gewähre der Kläger bereits seit 15.12.2013 für d...