Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Eingliederungshilfe. Hilfen zu selbstbestimmtem Leben in betreuten Wohnmöglichkeiten. kein Beurteilungsspielraum des Sozialhilfeträgers bezüglich des notwendigen Umfangs. Wunschrecht. Bindung des Sozialhilfeträgers
Leitsatz (amtlich)
1. Dem Sozialhilfeträger steht im Hinblick auf den notwendigen Umfang von Hilfen zu selbstbestimmtem Leben in betreuten Wohnmöglichkeiten kein Beurteilungsspielraum zu.
2. Die Entscheidung des behinderten Menschen für einen bestimmten Leistungserbringer ist für den Sozialhilfeträger jedenfalls dann bindend, wenn der Bedarf nicht durch einen günstigeren Leistungserbringer gedeckt werden kann.
Tenor
1. Der Bescheid vom 16.3.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.5.2011 wird abgeändert.
2. Die Beklagte wird verurteilt, die Kosten für die ambulante Betreuung des Klägers einschließlich der indirekten Leistungen im Zeitraum April 2011 bis März 2012 im Umfang von bis zu 3 Stunden pro Woche und in Höhe von 40,48 € pro Stunde zu übernehmen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Die Beklagte hat dem Kläger 2/3 der notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Übernahme der Kosten für seine ambulante Betreuung im Zeitraum April 2011 bis März 2012 als Leistung nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII).
Der im Jahre 1962 geborene Kläger leidet an einer geistigen Behinderung. Er arbeitet in einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) und lebt in einer eigenen Wohnung, in der er seit Jahren durch die J. (K.) ambulant betreut wird. Die dadurch entstehenden Kosten trägt die Beklagte.
Der Kläger stellte am 25.1.2011 einen Antrag auf Übernahm der Kosten für die ambulante Betreuung für den Zeitraum ab April 2011. Am 11.3.2011 reichte er zusätzlich die Bedarfsfeststellung der K. vom 18.2.2011 ein, nach der ein Hilfebedarf im Umfang von 3,4 Stunden pro Woche bestehe.
Die Beklagte erkannte die Kosten für die ambulante Betreuung des Klägers mit Bescheid vom 16.3.2011 im Umfang von einer Fachleistungsstunde pro Woche und einer Stunde für einfache Verrichtungen an. Der Kläger habe aufgrund seiner Behinderung einen Bedarf im Umfang von zwei Stunden pro Woche, wobei lediglich eine Fachleistungsstunde erforderlich sei. Der Hilfebedarf im Bereich der alltäglichen Lebensführung im Umfang von einer Stunde pro Woche könne durch eine Haushaltshilfe gedeckt werden. Darüber hinaus sei eine Fachleistungsstunde erforderlich, um den Kläger zu motivieren und anzuleiten, am kulturellen und gesellschaftlichen Leben teilzunehmen und entsprechende Kommunikation und Orientierung zu üben. Der weitergehende Bedarf könne durch den sozialen Dienst der WfbM und die rechtliche Betreuerin gedeckt werden.
Der Kläger legte gegen den Bescheid mit Schreiben vom 8.4.2011 Widerspruch ein. Diesen begründet er zunächst damit, dass der Bedarf nicht fachgerecht festgestellt worden sei. Dieser belaufe sich auf 3,4 Fachleistungsstunden pro Woche, was sich aus der Bedarfsfeststellung der K. ergebe.
Die Beklagte wies den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 18.5.2011 zurück. Der Kläger habe keinen Anspruch auf eine weitergehende Kostenübernahme, da sein Bedarf durch die Bewilligung gedeckt werde. Der Bedarf sei fachgerecht festgestellt worden.
Der Kläger hat am 28.5.2011 Klage erhoben. Diese begründet er damit, dass er einen Anspruch auf Übernahme der Kosten für 3,4 Fachleistungsstunden habe. Es bestehe ein Bedarf in diesem Umfang, die Feststellungen der Beklagten seien nicht zutreffend. Die Beklagte müsse die Kosten für Fachleistungsstunden übernehmen, da eine Haushaltshilfe keine Eingliederungshilfeleistungen erbringen könne. Der Bedarf werde auch nicht durch die Betreuerin, die WfbM oder die Krankenkasse gedeckt.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 16.3.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.5.2011 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen die Kosten für die ambulante Betreuung des Klägers einschließlich der indirekten Leistungen im Zeitraum April 2011 bis März 2012 im Umfang von bis zu 3,4 Stunden pro Woche und in Höhe von 40,48 € pro Stunde zu übernehmen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte verteidigt die angefochtenen Bescheide, die sie für rechtmäßig hält. Der Kläger habe keinen weitergehenden Anspruch auf Übernahme der Kosten für seine ambulante Betreuung. Ein solcher ergebe sich insbesondere nicht aus dem gerichtlichen Gutachten vom 7.9.2011. Die Beweiserhebung sei nicht zulässig, da der Beklagten ein Beurteilungsspielraum zustehe, der gerichtlich nicht überprüfbar sei. Darüber hinaus liege ein Verfahrensfehler vor, da der Gutachter nicht gestattet habe, dass ein Vertreter der Beklagten bei der Beweiserhebung anwesend sei. Weiterhin sei das Gutachten auch inhaltlich fehlerhaft, da der Gutachter Zeiten berücksichtigt habe, die nicht durch die ambulante Betreuung abzudecken seien. Ziehe man diese Zeiten von den Feststellungen des Gutachters ab, verbleibe ein Hilfebedarf von knapp zwei Stunden...