Entscheidungsstichwort (Thema)
Asylbewerberleistung. Anspruchseinschränkung. Nichtvollziehbarkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen. Verletzung ausweisrechtlicher Pflichten. reduziertes physisches Existenzminimum. Verfassungsmäßigkeit
Leitsatz (amtlich)
1. Die in § 1a Abs 3 S 1 AsylbLG, § 1a Abs 2 AsylbLG in der Fassung vom 31.7.2016 vorgesehene Absenkung der Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz auf Leistungen zur Deckung des Bedarfs an Ernährung und Unterkunft einschließlich Heizung sowie Körper- und Gesundheitspflege (sog reduziertes physisches Existenzminimum) hält die Kammer nicht für unvereinbar mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (Anschluss an LSG München vom 11.11.2016 - L 8 AY 29/16 B ER und SG Landshut vom 10.8.2016 - S 11 AY 69/16 ER). Einer Vorlage nach Art 100 Abs 1 S 1 GG bedarf es deshalb nicht (Fortführung von SG Osnabrück vom 25.9.2017 - S 44 AY 13/17 ER).
2. Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (Art 1 Abs 1 GG, Art 20 Abs 1 GG) ist nicht absolut zu verstehen. Es kann in Teilen von der Erfüllung von Obliegenheiten - auch von ausländerrechtlichen Mitwirkungsobliegenheiten bei der Beschaffung von Pass(ersatz)papieren - abhängig gemacht werden (Anschluss an BSG vom 12.5.2017 - B 7 AY 1/16 R = BSGE 123, 157 = SozR 4-3520 § 1a Nr 2).
3. Die Kammer hält die in § 1a Abs 2 AsylbLG vorgesehene Nichtberücksichtigung von Leistungen zur gesellschaftlichen und sozialen Teilhabe (Abteilung 7-12) im Fall der Absenkung der Leistungen für nicht verfassungswidrig.
4. Die Beschränkung des Leistungsumfangs auf ein abgesenktes physisches Existenzminimum (ohne Abteilung 3: Bekleidung) hält die Kammer für noch verhältnismäßig, da § 1a Abs 2 S 3 AsylbLG insoweit eine Härtefallregelung vorsieht.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger begehrt mit dem vorliegenden Verfahren die Gewährung höherer Leistung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG).
Der am 21.12.1993 in Armanikro, Elfenbeinküste, geborene Kläger ist ivorischer Staatsangehörigkeit und gehört der Volksgruppe der Anjini an. Er reiste am 09.11.2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 01.12.2015 einen Asylantrag. Bei der Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge am 12.01.2016 gab der Kläger an, er habe sein Heimatland wegen der Armut seiner Familie verlassen. Weitere Probleme habe es nicht gegeben. Zudem gab er an, er habe dort eine ID-Karte, eine Geburtsurkunde und eine Art Personalpapier gehabt. Diese Unterlagen habe er in Niger verloren. Den Asylantrag lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit Bescheid vom 19.09.2016 als offensichtlich unbegründet ab. Zudem wurde die Zuerkennung einer Flüchtlingseigenschaft und das Bestehen subsidiären Schutzes ebenfalls jeweils als offensichtlich unbegründet abgelehnt und festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) nicht vorliegen würden. Mit Beschluss vom 04.10.2016 lehnte das Verwaltungsgericht Osnabrück einen Antrag des Klägers auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ab (5 B 341/16).
Mit Schreiben vom 26.10.2016 wurde der Kläger daraufhin aufgefordert, zur Klärung seiner aufenthaltsrechtlichen Situation unverzüglich telefonisch einen Termin zur Vorsprache bei dem Beklagter zu vereinbaren. Zudem wurde der Kläger auf die Passpflicht nach § 3 Abs. 1 AufenthG hingewiesen und aufgefordert, einen Pass oder Passersatz vorzulegen. Des Weiteren wurde der Kläger für den Fall, dass er keinen Pass oder Passersatz habe, auf seine Mitwirkungspflicht nach § 48 Abs. 3 AufenthG und § 49 Abs. 2 AufenthG hingewiesen. Die Adresse der zuständigen Botschaft wurde genannt.
Mit Schreiben vom 08.12.2016 hörte der Beklagter den Kläger zu einer beabsichtigten Verpflichtung zu einer Flüchtlingsintegrationsmaßnahme bei der Gemeinde A für die Zeit vom 16.01.2017 bis 16.07.2017 an. Mit einem in den Akten wohl nicht befindlichen Bescheid vom 21.12.2016 wurde der Kläger wohl zur Wahrnehmung der angekündigten Flüchtlingsintegrationsmaßnahmen herangezogen.
Mit Schreiben vom 04.01.2017 wurde der Kläger zu einer Vorsprache am 12.01.2017 um 10:00 Uhr aufgefordert. Dieser Aufforderung kam der Kläger, wenn auch nicht an dem konkreten Tag, so zumindest am 17.01.2017 nach. Nach der von dem Kläger unterschriebenen Niederschrift über diese Vorsprache beantragte der Kläger in diesem Termin eine Duldung. Der Kläger sei - so die Niederschrift weiter - auf seine ausländerrechtliche Situation und die bestehende Ausreisepflicht hingewiesen worden. Das Schreiben vom 26.10.2016 habe er erhalten und zur Kenntnis genommen. Ob er freiwillig ausreise, wisse er noch nicht. Er sei nicht im Besitz gültiger Heimreisedokumente. Um die Ausstellung neuer Dokumente habe er sich nicht bemüht. Weiter heißt es: Der Kläger sei nochmals unter Hinweis auf die gesetzlichen Mitwirkungspflichten aufgefordert worden, ein gültiges Heimreisedokument zu beschaffen und d...