Entscheidungsstichwort (Thema)
Soziales Entschädigungsrecht. Gewaltopfer. Schädigung der Leibesfrucht durch Drogenkonsum der Mutter während der Schwangerschaft. tätlicher Angriff. feindselige Willensrichtung. Selbstschädigung. versuchter Schwangerschaftsabbruch. fehlender Nachweis. keine direkte Anwendung des OEG oder der bisherigen BSG-Rechtsprechung zum Nasciturus. Analogie
Leitsatz (amtlich)
1. Das Opferentschädigungsgesetz (OEG) findet keine direkte Anwendung auf Fälle der während der Schwangerschaft durch Alkohol- oder Drogenkonsum geschädigten Leibesfrucht (Nasciturus).
2. Die bisher zum Schutz der Leibesfrucht ergangene Rechtsprechung des Bundessozialgerichts findet keine unmittelbare Anwendung auf Fälle der Schädigung der Leibesfrucht während der Schwangerschaft durch Alkohol- oder Drogenkonsum ohne rechtsfeindliche Gesinnung.
3. Ob eine analoge Anwendung des OEG in Fällen der Schädigung der Leibesfrucht mit rechtsfeindlicher Gesinnung geboten ist, kann dahinstehen, wenn die Rechtsfeindlichkeit mangels Nachweises eines versuchten Schwangerschaftsabbruchs durch die werdende Mutter nicht im Vollbeweis belegt ist.
Orientierungssatz
Zum Leitsatz 2 vgl BSG vom 24.10.1962 - 10 RV 583/59 = BSGE 18, 55 = SozR Nr 64 zu § 1 BVG, vom 15.10.1963 - 11 RV 1292/61 = BSGE 20, 41 = SozR Nr 68 zu § 1 BVG und vom 16.4.2002 - B 9 VG 1/01 R = BSGE 89, 199 = SozR 3-3800 § 1 Nr 21.
Tenor
I. Die Klage gegen den Bescheid des Zentrums Bayern Familie & Soziales vom 05.02.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.05.2009 wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I.
Zwischen den Beteiligten ist ein Anspruch auf Versorgungsrente nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) streitig.
Die Klägerin wurde im November 2007 in der Klinik KH von ihrer Mutter M zur Welt gebracht. Dabei wurde eine Entzugssymptomatik der Klägerin bei Drogeneinnahme der Mutter diagnostiziert. In einem Bericht der Klinik aus dem Januar 2008 ist vermerkt, dass die Mutter in der Schwangerschaft über drei Monate Heroin intravenös gespritzt habe und jetzt seit drei Monaten unter Substitutions-Therapie mit Subutex stehe; aufgrund des Drogenkonsums in der Schwangerschaft sei die Entbindung auf Wunsch der Mutter in der Klinik erfolgt; bis zur Entlassung sei bei der Klägerin eine sehr lang anhaltende Entzugssymptomatik zu beobachten gewesen.
Mit Schreiben vom 28.08.2008 wurde für die Klägerin durch das beigeladene Jugendamt als damaliger Vormund ein Antrag beim Zentrum Bayern Familie und Soziales auf Entschädigung nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) gestellt.
Nach Zuziehung diverser ärztlicher Unterlagen und einer versorgungsärztlichen Stellungnahme, die den Zusammenhang zwischen dem Drogenkonsum der Mutter während der Schwangerschaft und der Entzugssymptomatik der Klägerin für "äußerst wahrscheinlich" hielt, erging am 05.02.2009 der hier angefochtene Bescheid, mit dem der Antrag der Klägerin auf Beschädigtenversorgung abgelehnt wurde.
Mit Schreiben vom 15.02.2009 wurde gegen diesen Bescheid Widerspruch erhoben.
Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens legte die Beigeladene einen Aktenvermerk der sozialpädagogischen Familienhelferin FH vom 08.01.2008 vor. Aus diesem Vermerk geht hervor, dass die Familienhelferin die Mutter der Klägerin am 03.12.2007 mit dem Ergebnis einer Urinprobe konfrontiert habe, welche Opiate angezeigt habe; die Mutter der Klägerin habe dabei gesagt, dass sie etwas geraucht habe, weil sie wegen des Gesprächs mit dem Jugendamt aufgeregt gewesen sei. Drei Tage später, am 06.12.2007, sei es zu einem weiteren Gespräch mit der Mutter der Klägerin gekommen, bei dem diese beteuert habe, dass sie nur zweimal etwas gespritzt habe, und zwar am Anfang der Schwangerschaft, um eine Abtreibung zu erzielen. Am 07.01.2008 habe die Mutter der Klägerin der Familienhelferin zudem mitgeteilt, dass ihr Freund zufällig eine Spritze in ihrer Wohnung gefunden habe, die sie dann weggeworfen habe; für ihn sei eine Welt zusammengebrochen, er glaube ihr nichts mehr. Die Mutter der Klägerin habe immer wieder beteuert, dass sie nur an dem Wochenende vor dem Gespräch am 06.12.2007 mit dem Jugendamt etwas gespritzt habe, weil sie zu aufgeregt gewesen sei, dass nun alles auf den Tisch komme.
Aus einem vom Beklagten beigezogenen Befundbericht des Frauenarztes geht hervor, dass dieser die Klägerin und deren Mutter während der gesamten Schwangerschaft betreut habe. Er habe keine Anzeichen gesehen, dass die Mutter der Klägerin während der Schwangerschaft irgendwelche Drogen eingenommen habe. Sie selbst habe ihm diesbezüglich auch nichts erzählt. Er sei lediglich informiert worden, dass sie früher damit Kontakt gehabt habe. Nach einer Rücksprache mit der Mutter der Klägerin sei zusammenfassend zu erklären, dass diese wohl unregelmäßig Subotex in der Schwangerschaft eingenommen habe. Dadurch sei auch die Entzugssymptomatik der Klägerin zustande gekommen. Der Mutter der Klägerin dürfte es jedoch n...