Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitslosengeld II. Unterkunft und Heizung. tatsächliche Aufwendungen. Mietvertrag Verwandter zu Lasten der Allgemeinheit. Sittenwidrigkeit. Fremdvergleich. Beweislast

 

Leitsatz (amtlich)

Sieht eine Vereinbarung über ein Mietverhältnis vor, dass der Mietzins nur zu entrichten ist, wenn die Zahlungen seitens des Sozialleistungsträgers erstattet werden, liegt ein Vertrag zu Lasten Dritter vor, der sittenwidrig und nichtig ist, so dass kein Anspruch auf Leistungen für Unterkunft und Heizung besteht, ohne dass es auf den sog. Fremdvergleich ankommt. Der Umstand, dass die Nichtzahlung des Mietzinses über einen längeren Zeitraum nicht zur Kündigung des Mietverhältnisses geführt hat, indiziert einen derartigen Vertragsinhalt.

 

Orientierungssatz

1. Ein Anspruch auf Leistungen für Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs 1 S 1 SGB 2 setzt voraus, dass dem Hilfebedürftigen Aufwendungen für die Unterkunft in rechtlich erheblicher Hinsicht tatsächlich entstanden sind. Die objektive Beweislast dafür, dass die Voraussetzungen für den Anspruch aus § 22 Abs 1 S 1 SGB 2 vorliegen, obliegt dem Hilfebedürftigen.

2. Zahlungsverpflichtungen zwischen Angehörigen bzw Verwandten sind nur dann als rechtlich erheblich iS von § 22 Abs 1 S 1 SGB 2 anzuerkennen, wenn sowohl die Gestaltung als auch die Durchführung des Vereinbarten dem zwischen Fremden Üblichen entspricht (sog Fremdvergleich). Im Kontext des Fremdvergleichs bedarf es keines Rückgriffs auf § 117 Abs 1 BGB (Scheingeschäft), um einen Anspruch aus § 22 Abs 1 S 1 SGB 2 zu verneinen. Vielmehr erscheint es hinreichend, aber auch notwendig, die anspruchsbegründenden Umstände insoweit unabhängig von zivilrechtlichen Wirksamkeitserwägungen zu bewerten.

3. Die Gestaltung und Durchführung einer zwischen engen Verwandten geschlossenen Vereinbarung entspricht unter anderem dann nicht dem zwischen Fremden Üblichen, wenn der “Mieter„ nur dann zur Zahlung von Mietzinsen verpflicht ist, wenn er seinerseits die Kosten vom Sozialleistungsträger erstattet bekommt. Von einer derart konditionierten - und damit im Rahmen von § 22 Abs 1 S 1 SGB 2 unbeachtlichen - Mietzinszahlungsverpflichtung ist insbesondere dann auszugehen, wenn die Nichtzahlung der Mietzinsen ohne entsprechende mietrechtliche Sanktionierung bleibt.

 

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Erstattung von Kosten für Unterkunft und Heizung nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit vom 1. Januar 2008 bis zum 30. Juni 2008.

Der Kläger wohnte im streitgegenständlichen Zeitraum mit seiner Mutter in getrennten Wohnungen in einem Haus, das im Eigentum einer Erbengemeinschaft, bestehend aus der Mutter des Klägers, seiner Schwester und seinem Bruder, steht. Der Kläger bezieht seit dem 1. Januar 2005 Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem SGB II.

Im zwischen den Beteiligten geführten Rechtsstreit mit dem Az. S 2 AS 4900/06, das die Übernahme der Kosten für Unterkunft und Heizung für das Jahr 2006 betraf, legte der Kläger am 2. August 2007 einen zwischen den Mitgliedern der Erbengemeinschaft als Vermieter und ihm als Mieter geschlossenen, auf dem 1. Juli 2007 datierten Mietvertrag für die Zeit vom 1. Juli 2007 bis zum 30. Juni 2008 vor, nach dem der Kläger eine monatliche Kaltmiete in Höhe von 100 Euro bzw. ab dem 1. August 2007 eine monatliche Kaltmiete von 111 Euro und zusätzlich jeweils eine Heizkostenvorauszahlung in Höhe von 15 Euro zu zahlen hat.

In dem Verfahren mit dem Az. S 2 AS 4900/06 wurde am 2. Oktober 2007 Beweis erhoben durch die Vernehmung der Mutter des Klägers sowie der Schwester des Klägers. Die Mutter des Klägers führte dabei unter anderem aus, dass der Kläger ihr bis zum Beginn seiner Arbeitslosigkeit monatlich 200 DM Kaltmiete sowie 30 DM für Strom gezahlt habe. Als er dann arbeitslos geworden war, habe er den Betrag nicht mehr bezahlen können. An den Gedanken, ihn deswegen aus der Wohnung “rauszuschmeißen„, sei sie nicht gekommen, da es doch ihr Sohn sei. Er müsse doch irgendwo wohnen. Inzwischen überweise er Miete.

Das Gericht wies die Klage mit Urteil vom 2. Oktober 2007 ab und führte zur Begründung im Wesentlichen aus, dass die Gestaltung des Mietverhältnisses zwischen dem Kläger und seiner Mutter nicht den zu stellenden Anforderungen an einen Fremdvergleich standhalte. Es entspreche nicht dem zwischen Fremden Üblichen, wenn aus dem Zahlungsverzug des Mieters nicht die Konsequenz der Beendigung eines Mietverhältnisses gezogen würde. Dies sei hier der Fall, da die Mutter des Klägers ausgeführt habe, dass sie den Kläger nicht aus der Wohnung weisen könne und würde, auch wenn er keine Mietzahlung leiste. Die hiergegen vom Kläger eingelegte Berufung wurde vom Landessozialgericht Baden-Württemberg mit Beschluss vom 14. April 2008 (Az. L 8 AS 5247/07) als unzulässig verworfen.

Die Beklagte bewilligte dem Kläger mit Bescheid vom 17. Dezember 2007 Leistungen nach dem SGB II für Januar bis Juni 2008 i...

Dieser Inhalt ist unter anderem im SGB Office Professional enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge