Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgeldanspruch minderjähriger Kinder in zeitweiser Bedarfsgemeinschaft. Ausübung des Umgangsrechts. Besuchstage bei Eltern während der Unterbringung in Vollzeitpflege bei einer Pflegefamilie. verfassungskonforme Auslegung. Erstattungsanspruch des Grundsicherungsträgers
Leitsatz (amtlich)
Auch bei Unterbringung des Kindes in einer Pflegefamilie und Gewährung von Leistungen der Vollzeitpflege im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe liegt bei Beurlaubungen in den Haushalt eines Elternteils bei einem mindestens zwei Tage andauernden Aufenthalt des Kindes eine zeitweise Bedarfsgemeinschaft vor und stehen dem Kind Leistungen nach dem SGB 2 zu, wenn für diesen Aufenthalt seitens des Kreisjugendamts keine Kostenbeteiligung erfolgt.
Orientierungssatz
Aufgrund des grundsätzlichen Vorrangs der Leistungen der Jugendhilfe gem § 10 Abs 3 S 1 SGB 8 gegenüber den Leistungen nach SGB 2 können die Voraussetzungen eines Erstattungsanspruchs des Grundsicherungsträgers gegen den Jugendhilfeträger nach §§ 102ff SGB 10 iVm § 34a SGB 2 erfüllt sein.
Tenor
1. Die Beklagte wird unter Abänderung der Bescheide vom 06.06.2007 und 09.08.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.08.2007 verurteilt, dem Kläger zu Nr. 2) für die Zeit vom 06.05.2007 bis 30.09.2007 dem Grunde nach Leistungen nach dem SGB II auch bei einer Aufenthaltsdauer von mindestens 2, aber unter 5 Tagen bei der Klägerin zu Nr. 1) zu gewähren.
2. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Kläger zu erstatten.
3. Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
Im Streit ist die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für Kosten, die der Klägerin zu 1 (im Folgenden bezeichnet als Klägerin) und ihrem Kind ...., dem Kläger zu 2, bei Wahrnehmung des Umgangsrechts entstanden sind.
Die am ............ geborene Klägerin bezog ab 01.01.2005 Leistungen nach dem SGB II für sich und ihre Söhne .... (M.), geboren am ........ und ..... (D.), geboren am ........... Ein weiteres Kind der Klägerin zu 1, ......., geboren am .........., lebt in einer Pflegefamilie.
Die Beklagte bewilligte mit Bescheid vom 28.03.2007 Leistungen für die Klägerin und die mit ihr in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Kinder D. und M. für die Zeit vom 01.04.2007 bis 30.09.2007 in Höhe von monatlich 1106,53 Euro monatlich.
Am 07.05.2007 teilte die Klägerin telefonisch einer Mitarbeiterin der Beklagten mit, ihr Sohn M. befinde sich ab 01.06.2007 in der Wochenpflege (von Montag bis Freitag; am Wochenende sei er zu Hause). Mit Schreiben vom 04.06.2007 gab die Klägerin als Beginn der Wochenpflege den 07.06.2007 an. M. komme alle zwei Wochen (gemeint wohl: Am Wochenende) zu ihr nach Hause.
Mit Änderungsbescheid vom 06.06.2007 bewilligte die Beklagte für die Klägerin, D. und M. Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit vom 01.06.2007 bis 30.06.2007 in Höhe von 1.058,83 Euro und für die Zeit vom 01.07.2007 bis 30.09.2007 in Höhe von 1.057,53 Euro. Als Änderung wurde hierbei berücksichtigt, dass sich M. ab Juni 2007 in der Wochenpflege befand. Die Klägerin wurde um Vorlage des Bescheides des Jugendamtes gebeten.
Nach dem hierauf vorgelegten Schreiben des Landratsamts ....... -Kreisjugendamt- vom 29.05.2007 befand sich M. seit 06.05.2007 in einer Pflegestelle. Die Kosten für diese Unterbringung würden im Rahmen der Bestimmungen des Achten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VIII) durch das Kreisjugendamt ............. getragen.
Am 19.06.2007 legte die Klägerin Widerspruch gegen den Bescheid vom 06.06.2007 ein. Hierin wandte sie sich dagegen, dass M. bei der Berechnung der Höhe der Leistungen im Juni 2007 nur noch mit 3 Tagen und ab Juli nicht mehr berücksichtigt werde. Zwar treffe es zu, dass M. zwischenzeitlich in der Wochenpflege untergebracht sei. Gleichwohl halte er sich noch weiterhin regelmäßig in der Familie auf und zwar an jedem Wochenende von Freitagnachmittag 14/15 Uhr bis Sonntagabend 18/19 Uhr sowie darüber hinaus während der gesamten Schulferien. M. habe sich im Juni bis zum 10.06.2007 bei ihr aufgehalten und werde sich an sämtlichen Wochenenden bei ihr aufhalten (somit an insgesamt 15 Tagen im Juni). Während des Zeitraums des Aufenthalts des M. stehe ihr anteiliges Sozialgeld für ihn zu. Es handle sich insoweit um eine Bedarfsgemeinschaft auf Zeit entsprechend der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zum Umgangsrecht (Urteil vom 07.11.2006, B 7b AS 14/06 R, Juris-Dok.).
Nach dem Bescheid des Landratsamts ............, Kreisjugendamt, vom 29.05.2007 wurde die mit Bescheid vom 18.04.2005 gewährte Hilfe zur Erziehung nach den §§ 27, 32 SGB VIII in Form von Übernahme der Kosten für den Besuch der Tagesgruppe (................) zum 04.05.2007 eingestellt. Ferner wurde Hilfe zur Erziehung nach den §§ 27, 33 SGB VIII für M. in Form von Pflegegeld zur Bereitschaftspflege ab 06.05.2007 bis auf weiteres gewährt. Das Pflegegeld werde direkt an die Pflegeeltern überwiesen.
Mit Änderungsbescheid vom ...